Full text: Wanderfahrten eines Kunstfreundes in China und Japan

Tokyo und Kamakura 
Tokyo, 30. Dezember. Nun bin ih ſeit zehn Tagen in der Hauptſtadt, 
und dag Ergebnis ift eher enttäuſchend. Dieſe Millionenſtadt ift noch un- 
endlich viel ausgedehnter als eine Stadt von der gleichen Größe in Europa 
oder Amerika, da ihre Wohnviertel faſt nur aus einſto>igen Häuſern und 
Häuschen mit zahlloſen Gärten und Gärtchen beſtehen und fid uferlos in 
die Weite des Landes hinausdehnen. Nah dem Erdbeben und dem Rieſen- 
brand, die vor zwei úIahren faſt die ganze Stadt in Schutt gelegt haben, 
iſt heute faſt alles wieder aufgebaut, aber doc) vieles erſt proviſoriſch, große 
Straßenzüge und Pläße werden neu angelegt, und fo befindet fid Tokyo 
in einer Umgeſtaltung, die ein klares Geſicht no< immer nicht ausgeprägt 
hat. Während ganze Villenſtädte und Bara>enviertel mit vornehmen und 
geringen Holzbauten ſi meilenweit erſtre>en, entſteht im Zentrum eine 
City mit rieſigen Hochbauten aus Eiſenbeton, mit Warenhäuſern und Büro- 
gebäuden, die \{<mud>los, proportionslos und nüchtern wirken. Jn der Ginza, 
der Hauptgeſchäftsſtraße, ſtehen fie noch vermengt mit alten Buden und nie- 
drigen, primitiven Häuſern, die mit ihren öden, billigen Bars und Re- 
ſtaurants an eine raſh entſtehende amerikaniſche Goldgräberſtadt erinnern. 
Nach Norden und Nordweſten \hließen fich die Regierungsviertel mit ihren 
zum Teil Schon großartigen neuen Aſphaltſtraßen und Verwaltungsbauten 
an, ſie flankieren den weiten und leeren Plak, der zum alten Kaiſerpalaſt 
emporſteigt. Von dieſem ſicht man aber nichts als den breiten und nüchter- 
nen Torbau und die mächtigen Waſſergräben und Mauern, die einen rieſigen 
Park voll alter Bäume rings umſchließen. Eine Reihe von Botſchaften 
und manche Häuſer von Europäern liegen auf dem im Morden fid) an- 
\<ließenden Hügel, und dieſe Gegend ſheint vom Erdbeben ziemlich ver- 
ihont geblieben zu ſein. Auf einer anderen Anhöhe im Oſten liegt der Ueno- 
Park, in dem fic die Muſeen und Ausftellungsgebäude befinden, von hier 
überbli>t man den Sumida-Fluß und einen Teil der ſüdöſtlichen Viertel. Die 
Drientierung iſ \{<wierig, da noch nicht einmal ein Stadtplan zu haben 
und ſo vieles no< im Umbau begriffen iſt. Die weiten Entfernungen und 
die komplizierten Verkehrsmittel — Ringbahn, Autobuslinien, Rikſcha und 
Auto — koſten wie in jeder Großſtadt für den Anfang viel Zeit und Nerven. 
    
  
  
  
   
   
  
  
   
  
   
   
  
    
   
  
  
   
   
  
   
   
  
  
  
  
   
  
   
   
  
   
   
  
  
   
  
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