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etwas anderes als die Wahrheit wäre, und indem Du es
als etwas anderes setztest als die Wahrheit, müsstest
Du notwendig sofort einsehen, dass es keine Wahrheit
in sich hätte, ohne Wahrheit und also nichts wahres,
auch durch eine kürzliche Kritik in der engl. Zeitschrift Mind., Juli 1887,
derzufolge Bruno in seinen italienischen Schriften lediglich als naturalistischer
Pantheist erscheinen soll, nicht widerlegt; sie allein erspart es uns auch,
einem Märtyrer seiner Überzeugung, wie Bruno, den Versuch unwürdiger
Heuchelei vor der Inquisition imputieren zu sollen, und anzunehmen,
Bruno habe in seinen lateinischen Schriften ..exoterisch“, in seinen
italienischen aber „esoterisch“ geschrieben, wie Leibnitz in seinen
französischen Abhandlungen einerseits und in seinen italienischen anderer
seits. Meines Erachtens war ein Bruno nicht der Mann, dieses System der
doppelten Buchführung einzuführen, ganz abgesehen davon, dass es
dann doch begreiflicher gewesen wäre, wenn er in den lateinischen
Schriften mehr seiner wissenschaftlichen Überzeugung Raum gegeben
hätte, als in den italienischen.
Über die Schwierigkeit des Problems der Willensfreiheit gegenüber
einem philosophisch und religiös würdigen Gottesbegriff habe ich mich
übrigens bereits in Not. 2 Seite 47 ff. zum 1. Dialog dieser Schrift aus
gesprochen.
Wenn ich daselbst von jener auch von Göthe verteidigten Mystik
des Glaubens sprach, so möchte ich an dieser Stelle noch hervorheben,
dass diese Mystik keinesfalls mit theologischer Gedankenmystik und
Gefühlskonfusion zu identifizieren ist.
Es giebt eben auch eine wissenschaftliche Glaubens-Mystik, be
ruhend auf der klaren Einsicht, dass zwar unser irdisches Erkenntnisorgan
eben ausreicht, uns mit der Notwendigkeit seines logischen Mechanismus
zur begrifflichen Anerkennung des Unendlichen zu zwingen, dass es aber,
weil abgesehen von seiner rein formellen Denkfunktion lediglich als
Brennpunkt unseres beschränkten Sinnensystems fungirend, unmöglich
verlangen kann, eine anschauliche Vorstellung der unendlichen Ivategorieen
zu gewinnen. Begrifflich ist es aber jedenfalls eine klarere Kon
zeption, Gottes Wesen als unendlich und demgemäss seine Thätigkeit als
solche zu definieren, die alles Mögliche, d. h. alles, was aus Gottes sich
selbst bestimmender Natur folgen kann, auch in einem unendlichen Akt
verwirklicht, cf. Spinoza, Ethik, I. L. 17. Z, 2, als anzunehmen, ein
nach Analogie der menschlichen Person gedachter Gott habe sich durch
seine eigene Schöpfung, durch eine von ihm aus dem Nichts hervor
gezauberte Welt, ein seinem Wesen innerlich unabhängig gegenüber
stehendes Aussen geschaffen, in dem er nun, an Zeit und Baum gebunden,
als Regent nach Analogie der menschlichen zeitlich successiven Willens-
bethätigung eingreife; zu welchen Absurditäten letzteres führt, hat
niemand drastischer angedeutet, als Bruno im dritten Teil des ersten
Dialogs dieser Schrift, cf. Not. 1 Seite 107 und 112. Anschaulich
vorstellbar könnte aber natürlich für den endlichen Sinn nur die letztere
Annahme, niemals die erstere sein. Ebenso ist es auch begrifflich
konsequenter und klarer, die Willensfreiheit des Menschen, d. h. doch
nichts anderes als Spontaneität und äussere Ursachlosigkeit seiner
einzelnen Willensakte, dadurch zu begründen, dass man die menschliche
Persönlichkeit als eine unmittelbare Position des göttlichen Seins auffasst
und in ihr selbst ein unzeitliches ewiges Prinzip als immanent voraussetzt,