154
Gauss an Olbers. Göttingen, 1822 Januar 15.
Haben Sie noch keine Lust oder Gelegenheit gehabt, sich nach
dem ENCKE’sclien Kometen mit Ihren grossen Teleskopen umzusehen?
Am 22. Dec. habe ich wieder die Stelle, wo er stehen musste, eine halbe
Stunde mit meinem grossen Dollond betrachtet und mich wieder über
zeugt, dass er für meine alten Augen durch dieses Instrument noch nicht
sichtbar ist. Ein Freund glaubt ihn schon am Ende Nov. erblickt zu
haben, ohne sich doch bisher seiner vermeintlichen Entdeckung ver
sichern zu können.
Ob die Photosphären um den Jupiter und die Venus bloss eine
vom gebrauchten Fernrohr herrührende Erscheinung seien, würde sich
wohl ergeben, wenn man nachsähe, ob dasselbe Phänomen auch bei
Fixsternen erster Grösse stattfände. — Die feine milchichte Haut,
deren ich in meinem vorigen Briefe erwähnte, setzt sich in Fraun-
hofer’s Achromaten auf der Seite des Crown-Glases, die gegen das
Flintglas gekehrt ist, gewöhnlich an.
Möge der Himmel Ihnen und Ihrer ganzen verehrten Familie,
mein theurer Gauss, auch bei diesem Jahreswechsel viel Glück und
Segen schenken!
No. 488. Gauss an Olbers. 1 ) [202
Göttingen, 1822 Januar 15.
Herzlichen Dank für Ihren letzten gütigen Brief und für die ge
fällige Mitteilung Ihrer interessanten Rechnungen über die eigene Be
wegung unseres Sonnensystems. Ich habe mich nicht enthalten können,
auch wieder einige Tage auf diesen Gegenstand zu verwenden. Ich
habe die zweite Methode, deren ich in meinem letzten Briefe erwähnte,
etwas weiter ausgeführt, wobei nicht die Grösse, sondern bloss die Rich
tung der beobachteten eigenen Be-
g wegung der Sterne auf der Himmels
kugel in Anwendung kommt. Ich
habe zwar dieselbe nicht streng an
die Wahrscheinlichkeitsrechnung ge
knüpft, was auch nicht so ganz
leicht sein möchte, doch ist mir
nicht unwahrscheinlich, dass diese
Verknüpfung nur eben dahin führen wird. Ist PQ auf der H[immels]-
Kugel auf die Richtung der beobachteten eigenen Bewegung senkrecht,
so soll 2, sin PQ 2 ein Minimum werden, wobei aber eigentlich diejenigen
x ) Der Brief ist in deutscher Schrift geschrieben. Krm.