Full text: Die Kartenwissenschaft (1)

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Die Kartographie als Wissenschaft. 
Die mathematische Seite der Kartenkritik ist durch E. Hammer besonders 
gefördert worden, nicht wenig unterstützt durch A. Tissot und weiterhin durch A. Breu- 
sing, H. Wagner, M. Fiorini und einige andere. Gott sei Dank, daß die Mathematik 
die Kartographie so befruchtet hat und befruchten kann; ist sie ja für die gesamte 
geographische Wissenschaft der „unverletzliche Schutzpanzer gegen jegliche Popu 
larisierung“. 1 Die Mathematik gibt der kritischen Arbeit vorzügliche Hilfen. Längen- 
und Arealschätzungen, methodisch-kartographische Erwägungen werden durch den 
mathematischen Kalkül ins richtige Gleis gelenkt, Winkel-, Längen und Flächen 
verzerrungen der Kartennetze bewertet, die Grenzen der Genauigkeit verschiedener 
kartographischer Darstellungsformen festgelegt u. v. a. m. Damit begegnen wir einem 
schwierigen Moment jeglicher Kartenkritik, das selbst von manchen Geographen ge 
mieden wird, obwohl es verdient, mehr als bisher Berücksichtigung und Verständnis 
zu finden. Kann man nach dieser Kichtung hin erfreuliche Fortschritte zur Besserung 
feststellen, so läßt doch noch vieles zu wünschen übrig. Manches schiefe Urteil würde 
vermieden worden sein, wenn Geograph und Mathematiker (bzw. Geodät) ihre gegen 
seitigen- Berührungsgebiete etwas besser kennengelernt hätten; ihre gegenseitige Kritik 
hätte mehr Form und Inhalt gewonnen. 1 2 
Jede neue Wissenschaft wird es mit der Bildung neuer Namen zu tun haben. 
Es ist das Zeichen von Kraft einer Wissenschaft, neue technische Ausdrücke zu erfinden 
„mit deren Hilfe sie die Erscheinungen kurz und doch deutlich bezeichnen kann“. 3 
Dabei wäre auch zu untersuchen, ob alten guten Bezeichnungen, die längst vergessen 
sind, nicht wieder zur Einführung zu verhelfen sei. 4 Bei der Schöpfung neuer Wörter 
ist zur größten Vorsicht zu mahnen. Insonderheit sind es die Schlagwörter, die das 
ganze System einer Wissenschaft verwirren können. Sie entstehen manchmal plötzlich, 
beinahe unbewußt und unbeabsichtigt und können wie ein Blitzschlag wirken, zündend 
und verheerend; denn auf sie reagiert besonders das Massenempfinden und nicht auf 
ihren Gedankeninhalt. Das war für S. Passarge der Beweggrund, mit aller Ent 
schiedenheit den Kampf gegen die Schlagwörter aufzunehmen, die durch die Morpho 
logie von W. M. Davis in die deutsche geographische Wissenschaft hineingetragen 
wurden. Was Passarge gegen die morphologischen Schlagwörter vorbringt, gilt in 
gleichem Maße gegen die kartographischen, wie „Naturtreue“, „Raumtreue“, „Dufour- 
beleuchtung“ usw., die wir später noch unter die kritische Sonde nehmen werden. Mit 
1 S. Passarge: Physiologische Morphologie. Hamburg 1912, S. 193. 
2 Ein klassisches Beispiel für das gegenseitige Mißverstehen finden wir in J. Frischaufs 
„Beiträgen zur Landesaufnahme und Kartographie der Erde“, Leipzig 1919, S. 80, wo Fr i sc häuf davon 
spricht, daß sich H. Wagner, wenn er die Definition über den Maßstab richtig gegeben hätte, sich 
die 70 Seiten starke Abhandlung über dem Maßstab in der Z. d. Ges. f. E. zu Berlin 1914 hätte er 
sparen können. Diese Bemerkung bezeugt evident, daß der Geograph noch ganz andere Seiten der 
Betrachtung dem Maßstab abgewinnt als der Mathematiker. Ich im besondern möchte gerade diese 
Abhandlung Wagners für die theoretische Kartographie nicht missen. Hinwiederum hat Frischauf 
dort sehr recht (Beiträge S. 75, 76), wo er sich darüber aufhält, daß E. Oberhummer im Hinblick 
auf eine minimale pekuniäre Unterstützung für die topographische Aufnahme von Mittelalbanien 
Fr. Seiner empfiehlt, oder mit andern Worten, daß viele Geographen gar nicht wissen, was zur topo 
graphischen Aufnahme eines Landes gehört. 
3 A. Hettner: Die Oberflächenformen des Festlandes. Leipzig und Berlin 1921, S. 224. 
4 So hat die Bezeichnung „Nordsee“ wenig für «ich. Ich bedauere, daß die alte deutsche Be 
zeichnung „Deutsches Meer“ ganz verschwunden ist. Auf C. Vopells Karte von Europa [Nat. Bibi. 
Paris] lesen wir „Oceanus German“.; „das große Teusch Meer“, Selbst auf engl. Karten lesen wir 
von „German Ocean“, wie auf der Tiefenkarte von Robert Stevenson aus d. Anfang des 19. Jh.
	        
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