Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

Böschungsschraffe und Schattenschraffe. 
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wählt habe, vielmehr vermute ich, daß er in der Schraffe, wie er sie nun einmal als 
Böschungsschraffe anwenden mußte, doch nicht ganz das geeignete Mittel sah, der 
Interpret der wirklichen Abtönung schräger Flächen zu sein. Sie war ihm sicher 
zu spröde und zu wenig abwandlungsfähig im Sinne des physikalischen Gesetzes der 
Lichtabtönung. Tatsächlich hat die Schraffe von Natur aus etwas Starres und Sprödes,, 
zuweilen selbst Derbes an sich, was sie auch innerhalb des Lehmann sehen Systems! 
nicht verleugnet und diesem darum einen einseitigen starren Charakter verleiht! 
Dieser verschafft sich so lange Geltung, bis eine Summe überzeugender Tatsachen 
ihn gefügig machen oder als verbraucht der Historie anheim geben. 1 
Es war gänzlich ausgeschlossen, daß Lehmann etwas von einer heutigen Ent 
wicklung der Kartographie ahnen konnte, war doch zu seiner Zeit noch nicht einmal 
der Steindruck erfunden. Allmählich reifen die neuern Verfahren heran, die bei 
geringem Kräfte- und Zeitverbrauch wirkungsvollere und wissenschaftlichere Bilder 
erzielen. Nicht katastrophal geht die Entwicklung vom gestrigen Guten zum heutigen 
Bessern vor sich. Wenn das gute Alte zuletzt auch ganz im Neuen untertaucht, war 
doch sein Dasein berechtigt. Das wollen wir auch dem Lehmannschen Systeme gegen 
über festhalten; denn Lehmann hatte als ein Erster das Beste, was seine Zeit leisten 
konnte', für die wissenschaftlich kartographische Darstellung des Geländes heraus 
geholt, und ungeschmälert muß ihm der Kuhm bleiben, daß er am Schlüsse des 18. 
und am Anfänge des 19. Jahrhunderts die moderne, vielen praktischen Bedürfnissen 
gerecht werdende Geländedarstellung, die weit über hundert Jahre hinaus die offizielle 
Kartographie beherrschte, begründet hat. Unter den Klassikern der Geländedarstellung 
nimmt er den ersten Platz ein. Seine Widersacher mußten verstummen, die andern 
haben recht behalten, und so gilt ganz und gar für Lehmann auch der Ausspruch 
aus Marcellinus’ Leben des Thucydides: ô yùg roîç àqiaxoiç ènaivovfjLEvoç; xul 
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0. Die Schattenschratte. 
I. Böschungsschraffe und SchattenschrafFe. 
312. Das Wesen der Böschungsschraffe und Schattenschraffe. Die Schatten- 
schraffe hat an sich- kein wissenschaftliches Gepräge, sie ist mehr künstlerischer, 
ästhetischer und allgemeiner darstellender Natur. Sie ist ein Darstellungsmittel, 
das, der Natur abgelauscht, auf die Geländeformen der Karte übertragen, d. h. über 
HieHJeländeformen nach einer bestimmten Regel ausgestreut wird, um diese Eormen 
schnell und nachdrücklich zu veranschaulichen. Total ist sie von der Böschungs 
schraffe verschieden. Diese ist aus der Natur heraus konstruiert, mathematisch 
bestimmt und repräsentiert Geländetatsachen, hat in eminentem Sinne etwas Körper 
haftes, jene dagegen etwas Schemenhaftes, das ständig wechselnd und irrational ist. 
Beide sind von Hause aus so wesensungleich, daß man sie eigentlich gar nicht mit 
einander vergleichen darf. Weil dies bisher nicht erfaßt wurde, finden wir die länger 
1 An anderer Stelle hatte ich das Bild des altehrwürdigen Aristokraten für die Sch raffenkarte 
gebraucht, s. S. 94.
	        
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