Teil II.
Die angewandte Karte und ihre wissenschaftliche
Methode. (Siedlung»-, Yolksdichtekarte usw.)
A. Das Gesetz der großen Zahl im Aufbau der Karte.
I. Die Zahl als Hilfsmittel in der geographischen Forschung.
44. Die angewandte Karte, das große Arbeitsfeld des Geographen. Mit der
Aufnahme und Herstellung der Land- und Seekarten hat der Geograph im allgemeinen
wenig zu tun, es sei denn, daß er als Forscher in unbekannte Lande hinauszieht und
Neuland für die Erdkunde erschließt oder die Erforschung eines besondern kleinen
Erdgebiets vornimmt. Dagegen ist er ganz in seinem Metier, wenn es sich um den
Entwurf der sogenannten „angewandten Karten“ handelt. Daß ich mit dem Aus
druck „angewandt“ nicht recht zufrieden bin, darüber habe ich mich im ersten Band
der Kartenwissenschaft ausgesprochen (S. 51). Daselbst habe ich ferner die an
gewandten Karten in die Rubrik der geographisch abstrakten Karten gestellt, also
von Karten, die das Wesentliche vom Zufälligen sondern und verallgemeinert
durch Mittelwerte veranschaulichen.
Nur selten begibt sich der eigentliche Kartograph auf das Gebiet der angewandten
Karte. Seine Arbeit liegt bekanntlich auf anderm Felde. Sodann fehlt ihm die Zeit,
sich neben seiner meistens sehr schwierigen manuellen, wenn auch wissenschaftlich
geleiteten Arbeit in wissenschaftliche Probleme, die gleichfalls einen ganzen Mann
fordern, zu vertiefen und ihnen einen kartographischen Ausdruck zu verleihen. Zu
dem hat er ja für die angewandte Karte bereits die Basis geschaffen, indem sich
auf der so von ihm geschaffenen Landkarte, ganz gleich, wieweit vollendet sie vor
liegt, das aufbaut, was der Wissenschaftler als Niederschlag in der Retorte seiner
Gedankenarbeit gewonnen hat. Nicht selten ist dieser Niederschlag das Ergebnis
zahlreicher und langwieriger Analysen. Und nicht immer ist der Endwert proportional
der großen Anzahl von Analysen. Hinwiederum können wenige Meditationen genügen,
wenn ihnen nur ein divinatorischer Zug innewohnt. Es sei bloß an die Entstehung
von Humboldts Isothermenkarte erinnert.
Die angewandte Kartographie trägt durch geeignete Systeme und
Schemata von Zeichen, Linien und Farben — wie H. Wagner sagt — die Er
gebnisse von Massenbeobachtungen aus Natur- und Menschenleben ein; fügen wir
noch hinzu, auch von Einzelbeobachtungen. „Sie stellt sich damit in den Dienst
zahlreicher Wissenschaften, denen es auf die geographische Verbreitung der in ihnen
behandelten Objekte, Vorgänge, Erscheinungen ankommt, in erster Linie also in