Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

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Die angewandte Karte und ihre wissenschaftliche Methode. 
Allerdings haben diese nicht die Bedeutung ausnahmsloser Kausalität wie die durch 
Versuche gefundenen Gesetze der Naturwissenschaft, sondern beruhen mehr oder 
minder auf Wahrscheinlichkeit, ähnlich wie die der Statistik; denn in den meisten 
Zweigen der Naturwissenschaft ist die Gleichartigkeit der Teilerscheinungen durch 
die gesetzmäßige Anwendung und Bindung der Voraussetzungen so groß, daß die 
Binzeibeobachtung, die Vergleichszwecken dient, mit dem wiederholenden Versuche 
zumeist schon zur Allgemeingültigkeit der Ergebnisse und zur Formulation von 
Gesetzen führt. Die Geographie muß dagegen, um auf ähnliche brauchbare Ergeb 
nisse zu gelangen, den umständlichem Weg der Induktion und der statistischen 
Methode zu Hilfe nehmen. 
Die Zahl als Hilfsmittel zur Gewinnung allgemeingültiger Ergebnisse und 
Erkenntnisse hat die Geographie mit der Statistik gemeinsam. Letztere ist, wenn 
ich von den annähernd zweihundert Definitionen der Statistik die mir am meisten 
zusagende auswähle, die auf systematische Massenbeobachtung gegründete 
zahlenmäßige Erforschung von Massenerscheinungen. 1 Damit ist zugleich 
ein gut Teil ihrer Methode gekennzeichnet, sowie die Tatsache, daß wir hier das Wesen 
der Statistik in einem modern eingeengtem Kähmen auffassen und nicht mit dem 
weitern Inhalt als der Erkenntnis (notitia) vom Inhalt (status) der Sachen (rerum). 
Um letztere Auffassung hat sich J. R. Mucke mit großem Fleiße, wenn auch ver 
geblich bemüht 1 2 , indem er sich auf die ,,statistische Darstellung“ des 17. Jahrhunderts 
beruft, unter der man eine solche verstand, die frei von aller Subjektivität war. 3 
Das Zählen und Messen ist für Mucke lediglich ein technisches, auch in andern Wissen 
schaften beliebtes Verfahren, ohne die innere Kraft zu besitzen, eine Wissenschaft 
zu begründen, „da eine selbständige Wissenschaft ein klar erkanntes Prinzip haben 
muß“. 4 In der oben von mir gegebenen Definition der Statistik offenbart sich das 
gewünschte Prinzip, und zwar ohne Verzicht auf die Zahl. Bei der Erforschung von 
Massenerscheinungen geht es ohne Kombinationsgabe, auf die Mucke so großen Wert 
legt, gar nicht ab. Schon vor mehr als hundert Jahren sagte Ludwig v. Schlözer, 
daß sich im Kombinieren Genie und Gelehrsamkeit des Statistikers zeige. 5 Und auf 
dies Kombinieren durch Maß und Zahl bei der geographischen Arbeit legte schon 
C. Ritter erheblichen Nachdruck. Er hat gezeigt: „Wie räumliche Verhältnisse 
genauerer Ausmittlung durch Maß und Zahl zu der Veranschaulichung des Wesens 
geographischer Verhältnisse überhaupt führen, die ohne sie unbeachtet liegen bleiben, 
durch sie aber einen Ausdruck für die Sprache und Lehre gewinnen und zu einer, 
wenn man will erschöpfenden Systematik führen, welche für das so wenig geordnete 
und fast unübersehlich gewordne Material geographischer Wissenschaft immer un 
1 W. Kahler: Wirtschaftsstatistik des Deutschen Reichs. In „Wirtschaft und Recht der 
Gegenwart“, hg. von Leopold v. Wiese. Tübingen 1912. Bd. I. — J. Conrad: Grundriß der 
politischen Ökonomie. IV. Teil. Statistik. 2. Aufl., Jena 1902. 
2 J. R. Mucke: Das Problem der Völkerverwandtschaft. Greifswald 1905, S. VI. 
3 Vgl. Helenus Politanus: Microscopium statisticum. 1687. — Die Erfassung durch den 
Verstand war die spekulative, im Gegensatz zur statistischen (objektiven). So nannten z. B. 
die Männer der Nachreformationszeit das direkt aus den Lehren der heiligen Schrift abgeleitete Christen 
tum die „religio statistica“. 
4 J. R. Mucke: Üb. d. historische Prinzip der Statistik. Dresden 1900. 
5 Aug. L. v. Schlözer: Staatsgelahrtheit nach ihren Hauptteilen im Auszug u. Zusammen 
hang. 2 Teile Göttingen 1793, 1804. Teil II. a. u. d. T.: Allgemeine Statistik, Heft 1. Theorie 
der Statistik. Göttingen. 1804, S. 45.
	        
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