Die Zahl als Hilfsmittel in der geographischen Forschung.
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Eckert, Karten Wissenschaft. II. ^
entbehrlicher zu werden scheint.“ 1 Mit diesen Worten zielt Ritter auf Methoden
hin, wie sie späterhin nicht bloß durch die Geographie, sondern noch mehr von der
Statistik ausgebildet worden sind, obwohl er die Statistik selbst noch als eine Staats
wissenschaft gegenüber der geographischen Wissenschaft betrachtet wissen will,
eine Auffassung, der man länger als ein Jahrhundert huldigte, und die noch bei
Meitzen ankhngt: „Die Geographie urteilt von der Gesamtheit der Eindrücke eines
bestimmten Punktes über das, was ihr unsicher bleibt und vermutet dort induktiv
das Typische. Die Statistik durchsucht ihr gesamtes Arbeitsfeld nach bestimmten
Einzelheiten, von denen keine verborgen bleiben darf, vermag aber keinerlei andern
Eindruck zu beachten. Beide können ihre Ergebnisse gegenseitig nützen, aber die
Methoden, wie sie dieselben gewinnen, sind so grundverschieden, daß der Geograph
als solcher kein Statistiker und der Statistiker kein Geograph ist und sein soll.“ 1 2
Gewiß sind die Methoden des Statistikers und des Geographen verschieden, aber
nach einzelnen Richtungen nicht so grundverschieden, daß der Geograph bei seinen
Untersuchungen sich statistischer Methoden ganz entschlagen müßte, und hinwiederum
der Statistiker der Gedankengänge und Mittel, die ihm die Geographie bietet.
Übrigens ist die moderne Wissenschaft bereits über Meitzens Auffassung hinweg
geschritten.
40. Das Gesetz der großen Zahl. Weil die Statistik es mit den Erscheinungen
im wirtschaftlichen und sozialen Leben des Menschen zu tun hat, also die Ergebnisse
der menschlichen Handlung verfolgt, wird sie in Gegensatz zu den Naturwissenschaften
gestellt, da letztere es in der Hauptsache mit der Auffindung von Naturgesetzen
zu tun haben. 3 Diese Auffassung wird mit dem Ausspruch von G.Rümelin (Zur Theorie
der Statistik) erhärtet: „Im Reiche der Natur ist das Einzelne typisch, in der Menschen
welt individuell.“ Mag das letztere stimmen, ist das erstere entschieden zu be
schränken, denn in der Natur treten uns eine Anzahl von Einzelerscheinungen ent
gegen, die in ihrer Einzelheit durchaus nicht als typisch bezeichnet werden können.
Erst aus einer Reihe von beobachteten Teilerscheinungen kann auch in der Natur
Typisches erfaßt und erkannt werden. Es sei einstweilen nur an meteorologische
Phänomene erinnert. Hier tritt die statistische Methode in ihr geographisches Tätig
keitsbereich und hilft Regelmäßigkeiten auffinden und deren Ursachen ermitteln. 4
Ganz der Aufgabe der statistischen Methode gemäß werden die nebensächlichen
und zufälligen Einflüsse durch die ausgleichende Wirkung von Massenbeobachtungen
beseitigt, dagegen die konstant wirkenden, eben die typischen Momente, ins rechte
Licht gerückt. Die statistische Methode befolgt somit das Gesetz der großen Zahl,
das ich im Hinblick auf die Art und Weise seiner Anwendung in imperative Form
kleiden möchte: Zum Verschwinden der zufälligen Einzelheiten und zum
1 C. Ritter: Bemerkungen üb. Veranschaulichungsmittel räumlicher Verhältnisse bei gra
phischen Darstellungen durch Form u. Zahl. Abh. d. K. Akad. d. Wiss. zu Berlin. Aus d. J. 1828.
Berlin 1831, S. 22!).
2 Aug. Meitzen: Geschichte, Theorie u. Technik der Statistik. Berlin 1886, S. 32.
11 .1. Conrad, a. a. O., S. 26.
4 Deshalb sagt ja J. R. Mucke (a. a. 0., S. VIII), daß man das numerische Hilfsverfahren,
das zuweilen „statistische Methode“ genannt wird, mit gleichem Rechte „meteorologische Methode“
nennen kann. Ihm ist also die „statistische Methode“ nichts Spezifisches der Statistik, womit er
mit der heutigen Auffassung über das Wesen der Statistik in Widerspruch steht.