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Die Grundbegriffe der Geometrie.
In den Annalen der Philosophie findet sich im zweiten Band
unter „Lesefrüchte“ ein kurzer Artikel, in dem H. Vaihinger
verschiedene Stellen aus M. P a s c h „Mathematik und Logik“
zitiert, um schließlich zu schreiben 292 ): „Diese weittragenden
und weitblickenden Aussprüche von M. Pasch sind für die
Ohren eines gewöhnlichen Mathematikers schlimme Ketzereien,
würde nicht ein Universitätsprofessor der Mathematik, ja ein
bewährter Altmeister dieser vornehmen Wissenschaft sie aus
sprechen, sondern etwa ein Philosoph, so würde man diesen
einen Laien oder gar einen Banausen schelten. Ich habe prin
zipiell dieselben Überzeugungen (ohne Pasch zu kennen) in
meiner ,Philosophie des Als-Ob* ausgesprochen und habe mir
dadurch die Mißachtung und den Spott der Mathematiker zu
gezogen. Ein Unterschied zwischen Pasch und mir ist mehr
scheinbar als prinzipiell: Pasch nennt die systematische
Geometrie eine ,hypothetische* Wissenschaft, nach meiner Ter
minologie beruht sie nicht auf Hypothesen, sondern auf ,Fik
tionen*. Hypothesen sind Annahmen über Unbekanntes, durch
die man dies Unbekannte erraten zu können glaubt, und deren
Wahrheit daher durch die Erfahrung bestätigt oder widerlegt
werden kann. Der mathematische Punkt, die Linie, Fläche,
Körper des Mathematikers, die irrationalen und die imagi
nären Zahlen, die n-Dimensionen des Raumes usw. usw. sind
nicht Hypothesen in diesem Sinne, und es muß zu Mißver
ständnissen führen, in diesem Sinne die Geometrie eine hypo
thetische Wissenschaft zu nennen. Vom Standpunkt der Logik
bzw. Methodenlehre aus gibt es dafür nur noch den Ausdruck
,Fiktionen*: Das sind Annahmen, deren imaginärer Natur man
sich von vornherein klar bewußt ist, die man aber zum Zweck
der Rechnung, der Berechnung und der abstrakten Kon
struktion macht. In diesem Sinne nenne ich die Geometrie eine
,fiktive Wissenschaft*.“