Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

Seitenschiff an der Rückseite des Kaiserpfeilers. Wir hatten den Tod 
und die Unterwelt, jetzt gegen die Begräbnisstätten des Kreuzgangs 
hin das Bild der Auferstehung der Toten aus den Grabhügeln. Ein 
38 Kopf erhebt sich aus dem Blattwerk. Schlangen, die Leichenfres⸗ 
er des Mittelalters (Wilke, Religion der Indogermanen, S. 97), die 
an feinem Halse zehren, werden von den beiderseitigen Vöogeln weg— 
gerissen. Trotz der langen Hälse, die der Bildhauer zu der Beugung 
nach unten brauchte, sind sie als Adler anzusehen. Der Tote ist erwacht, 
er erhebt sich aus dem Grase. Die Bildvorstellung ist die gleiche wie am 
Portalgewände die Menschenköpfe zwischen den Blättern. In Schön— 
grabern sind an der Südostseite, beiderseits der Hochsäule der Außen⸗— 
äpsiswand, Halbsäulen, die im Kapitell diesen Gedanken darstellen, 
indem Köpfe aus grasartigem Blattwerk hervorkommen; dort fordert 
der Gedankenzusammenhang diese Erklärung. Adler über Schlangen, 
ein überall und allezeit beliebtes Symbol, bedeuten in der christlichen 
Symbolik immer den Sieg des Lichtes über die Finsternis, die Adler 
find die Vertreter des Gerichts und, schon auf Grund der Sage ihrer 
Selbstverjüngung, der Auferstehung. Auch die aufgeplusterten Vögel 
auf der Südempore, teils mit offenen, teils mit geschlossenen Flügeln, 
hedeuten die Erwartung des Gerichts und die Auferstehung; ihnen ent— 
spricht auf der Nordempore ein Kapitell mit Sternen: im Norden die 
Nacht. im Süden der Tag, dort die Finsternis, hier das Licht. 
Das Kaiserrelief vorläufig in der Behandlung zurückstellend, ver⸗ 
suchen wir jetzt, das große Rätsel des am gegenüberstehenden dritten 
Schiffpfeiler gegen Westen hin angebrachten Bildes zu lösen. Man hat 
die Varstellung „Zweikampf“ betitelt. Aber ein ehrlich ritterlicher 
Kampf hätte ein anderes Gesicht: hier wird der Unterliegende an seiner 
Verteidigung gehindert, niemand nimmt sich seiner an. Es streiten 
zwei mit Helm und Schild gerüstete Kämpfer, der eine mit dem Schwert, 
der andere mit dem Dolch. Schon dieser Unterschied der Waffen ist be— 
denklich. Der Unterliegende wird aber durch einen bärtigen — wir 
müssen auf alle Andeutungen achten! —, Mann ohne Helm und Waffen 
in seiner Notwehr gestört, da jener seine schwertführende Hand um— 
klammert und zurückhält. Daneben hat ein Anderer ein Schwert in 
Bereitschaft, hält es an der Klinge, damit es sein Genosse, falls der 
Anschlag mißlinge, sofort am Griff fassen, in den Kampf eingreifen und 
dem Wehrlosen den Garaus machen könne. 
Der behelmte, bärtige Gegner sticht den wehrlosgemachten über den 
Schild weg mit dem Kampfmesser oder Dolch von oben her in den Leib. 
Dann stehen noch zwei barhäuptige, unbewaffnete Männer daneben 
wie Bürger, die „unter dem Tore stehen“, die der jetzt im Kampfe 
Unterliegende für harmlose Leute halten konnte. Diese Zuschauer hüp⸗ 
fen vor — der Außerste stemmt eine Hand in die Hüfte (Tanzhal— 
tung), die andere Hand zeigt zu Boden, als ob er sagen wollte: Den hat 
es geiroffen, der sinkt in die Grube! Der neben ihm stehende macht mit 
der Rechten die Redegeste, er spricht auf seinen Nachbar ein und zupft 
ihn vertraulich am Kinn. 
Man hat geschichtliche Begebenheiten angezogen, hat die in die 
Schwertklinge eingeritzte Inschrift „Guido“ mit den Namen geschicht— 
licher Personen in Beziehung zu setzen gesucht, es war vergebliche 
Mühe. Heute ist kein Zweifel mehr, daß irgend ein Steinmetz diesen 
Namen auf dem Schwerte angebrächt hat, weil er von Schwertinschrif— 
ten und Schwertnamen wußte; vielleicht ist es der Name des Bild— 
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