Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

säule angebracht. Da sitzt zwischen Löwen ein gekrönter Mann mit auf— 
fallend langem Barte uͤnd strähnigen Haupthaaren. Mit den Händen 
greift er naͤch Blättern, die aus dem Boden wachsen. Dieser König ist 
Rabuchodonosor, der Vertreter des babylonischen Zeitalters in der 
romanischen Symbolik. Er wurde nach Daniel, 4, „zur Buße für seinen 
Hochmut aus der Menschheit ausgeschlossen, „er wohnte unter den wil—⸗ 
den Tieren, verzehrte Gras gleich einem Rind und der Tau des Him— 
mels benetzte seinen Leib, bis adlerfederngleich das „Haar ihm wuchs 
und die Nägel denen der Vögel gleich wurden“ 
Wenn nun die Reihe der Weltreiche fortgesetzt worden ist, erwar— 
ten wir ein Bild der Perserherrschaft nach Analogie in Chur. An der 
Südseite des nach Westen folgenden Pfeilers kommt ein Mann aus 
dem Akanth, Blätter auf dem Haupte, wie ein aus dem Grabe sich Er— 
hebender; mit den Händen hält er (oder sendet er) zwei Adler am Fuß 
gegen die Männer hin, die an den Kämpferecken in Halbfigur erschei— 
nen und sich der Adler, die mit den Schnäbeln auf sie einhauen, zu er⸗ 
wehren suchen. Das „Buch der Geschichte des großen Alexander“ (Die— 
derich's Verlag, Jena, 1924, S. 130) erzählt, daß den Darius seine bei— 
den Kämmerer erschlugen und wie tot liegen ließen, wofür sie von Ale— 
rander hoch geehrt und belohnt zu werden hofften. Als Alexander her— 
bei kam, richtete sich der Totgeglaubte einigermaßen vom Boden auf 
und forderte Rache an seinen Mördern. Alexander erhob die Mörder 
„aufs allerhöchste“, er ließ sie aufhängen und die Geier fraßen ihr 
Fleisch. So ist also der erbärmliche, dem Tode geweihte (Blätter auf 
dem Kopfe) Mensch der besiegte, sterbende Darius; er fordert die Be⸗ 
strafung seiner Mörder; die Gerichtsadler fressen von den Leibern der 
Gehenklen. Der Schluß aus dem Zusammenhang ist naheliegend, die 
Andeutungen genügen. (Das Alexanderlied des Pfaffen Lambrecht, um 
1138 entstanden, war um 1200 weit bekannt und wurde oft verarbeitet; 
oben genanntes Buch wurde nach Heidelberger Handschriften und nach 
den Drucken des fünfzehnten Jahrhunderts abgefaßt.) 
Das griechische Weltreich Alexanders des Großen ist auf der Kämp— 
ferplatte an der Ostseite des nörodlichen Turmpfeilers deutlich zu erken— 
nen. Die oben beigezogene Alexandersage berichtet, Alexander sei in 
einem Walde von gar grausamen Greifen angegriffen worden. Die 
Ritter wehrten sich tapfer; aber nur nach großen Verlusten konnte Ale— 
xander ihrer Herr werden. Auf unserem Bilde reitet Alexander mit 
geschwungenem Schwerte aus dem Walde. Die Wiedergabe der Greifen 
wiederholt sich im Münster und in vielen Denkmälern der romanischen 
Plastik. Es sind Mischwesen aus Pferd, Löwe und Adler, „gar grau— 
same Tiere“. 
Wenn eine Erklärung des Kaiserbildes an der Südseite des von 
Westen her dritten, nördlichen Schiffpfeilers versucht wird, ohne den 
Zusammenhang mit den Bildinhalten der anderen Reliefs zu kennen, 
ist man allerdings auf ein richtungsloses Raten angewiesen. Ein Rei⸗— 
ler, der ausgezeichnet ist mit Krone und Szepter, wird wohl ein König 
oder Kaiser sein. Die Mauerkrone auf dem Haupte zeigt einen römi— 
schen König an. Hinter dem Reiter sitzt auf einem Ast ein zum Reiter 
zuͤrückblickender Adler mit geschlossenen Flügeln. Gewöhnlich sind die 
Flügel des Reichsadlers ausgebreitet; auf einem Brakteat des 1198 
zum deutschen König gewählten Herzogs Philipp von Schwaben ruht er 
ebenso auf einem wagrechten Aste links hinter dem Reiter mit ge— 
schlossenen Jlügeln (im Germ. Nationalmuseum Nürnberg, abgebil— 
det in Salzers Literaturgeschichte, I. S. 309). Dieser Fürst kann auf dem
	        
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