Full text: Mineralische Kohle (Heft 74)

      
    
  
  
  
  
   
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
Mineralifche Kohle. 23 
Jetzt rächt fich fchwer die arge Vernachläffigung, in welcher Staat und 
Private die englifchen Bergwerks-Arbeiter gelaffen haben. „Das Mifsverhältnifs 
zwifchen dem Arbeiter und Arbeitgeber wird fich nicht eher befeitigen laffen, 
als bis die ganze bergmännifche Bevölkerung durch die Einführung des zwangs- 
weifen Schulunterrichts von dem halbwilden Standpunkte, auf dem fie noch 
heute fteht, zu einem höheren Grade von Denkfähigkeit und Urtheilskraft 
erhoben fein wird. Erft dann wırd der englifche Bergmann im. Stande fein, 
die Wohlthaten zu geniefsen, welche aus einem geordneten Knappfchaftswefen, 
aus Spar- und Confum-Vereinen, deren fich der deutfche Bergmann fchon feit 
Jahrhunderten erfreut. hervorgehen; erft eine höhere Bildung wird ihm die 
Thorheit feiner Arbeitseinftellungen mit Verwerfung jeder Art von Schieds- 
gericht einfehen laffen und ihm ein geachtetes und gefichertes Verhältnifs zu 
feinen Kameraden und Arbeitgebern ermöglichen. So lange diefs aber nicht 
gefchehen, ift der englifche Kohlen-Bergmann nicht viel beffer, als ein Neu- 
Seeländer oder Hottentotte, und die Exiftenz eines fonft vielleicht blühenden 
Betriebes kann durch feine Unvernunft jeden Augenblick in Frage geftellt 
werden“. Diefe kräftigen Worte, die Herr Dr. Ad. Gurlt in feiner trefflichen 
Schrift „Die deutfche Steinkohle als überfeeifche Handelswaare“ bereits im 
Jahre 1868 ausfprach, haben in den letzten Jahren ihre volle Beftätigung erfah- 
ren. Uebrigens beginnen jetzt endlich die Kohlengewerken und insbefondere die 
englifche Regierung einzufehen, dafs fie gegen fich felbft unklug handelten, 
indem fie der Arbeiterbevölkerung gegenüber nicht die Pflichten übten, welche 
der höheren Bildung, dem Reichthume und Machtbefitze obliegen. In Süd- 
Staffordfhire wurde im Jahre 1872 zur Errichtung eines Verforgungshaufes für 
verunglückte Bergleute und deren Hinterlaffene gefchritten, und im Jahre 1871 
begann man in Newcaftle mit Lehrcurfen für Bergleute. Auch die Gefetz- 
gebung hat endlich eingegriffen. Die zu Ende des Jahres 1872 erlaffenen „mines 
regulations adt*, welche gewiffe Vorkehrungen zum Schutze der Grubenarbeiter 
anbefiehlt und jungen Leuten, damit ihre Erziehung nicht Noth leide, blos 
per Woche eine 54ftündige Arbeit in den Gruben geftattet, führte zugleich 
Prüfungen für die Steiger ein. Aber der Erfolg diefer Mafsregeln reift felbft- 
verftändlich nur langfam, ja es wurde im erften Augenblicke das erwähnte 
Gefetz zu einer Erhöhung der Kohlenpreife benützt: durch die auf Grund 
diefes Gefetzes nothwendig gewordenen Vorkehrungen in den Gruben wird 
angeblich den Werksbefitzern eine Mehrausgabe von 4 bis 6. d. (10'8 bis 25'2 kr.) 
per Tonne zugemuthet, während bei diefer Gelegenheit die Preife um 3 s. 
(1 fl. 51 kr.) per Tonne in die Höhe fchnellten! 
Die Befchwerlichkeit und mehr noch die Gefahren der Arbeit in den eng- 
lifchen Kohlenwerken legen die Vermuthung nahe, dafs das Streben der Arbeiter 
nach Abkürzung der Arbeitszeit und Erhöhung der Löhne keine blos vorüber- 
gehende Erfcheinung fein werde. Die Verfuche der Werksbefitzer fremde und 
zwar belgifche und deutfche Arbeiter heranzuziehen, waren bisher vergeblich. 
Die Anwendung von Mafchinen bei der Strecken- und Kohlenförderung ift 
zwar im Zunehmen, wird jedoch vorausfichtlich, der Natur der Arbeit nach, flets 
eine ziemlich begrenzte bleiben. Das Steigen der Löhne zog zwar aus anderen 
Berufszweigen eine Anzahl von Arbeitern (befonders Taglöhner und Matrofen) 
herbei, und man nimmt an, dafs fie in zwei Jahren zu guten Bergwerks-Arbeitern 
geworden feien; aber die Erfahrung fpricht dafür, dafs diefe neu gewonnenen 
Leute rafch die Anfichten und Beftrebungen ihrer älteren Collegen fich zu eigen 
machen. Ungeachtet ungünftigen Gefchäftsganges in der Gefammtinduftrie dauer- 
ten die Strikes bis in den Spätherbft 1873 fort, und da die Arbeiter, wie ihre 
Führer vor dem Ausfchuffe des Parlaments klar ausfprachen, geradezu auf Ver- 
minderung der Produdion losfteuern und ihre Ueberzeugung dahin formuliren, 
„dafs billige Kohle ftets von niederen Löhnen begleitet gewefen feiX — fo wird 
man auch in den englifchen Arbeiterverhältniffen fchwerlich ein Motiv entdecken
	        
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