Full text: Thierzucht (Heft 62)

   
30 Johann Pohl. 
lichmehr Beachtungswürdigkeit und thatf: ächlich auch mehr Beachtung erworben, 
und in'ihrem Zufammenwirken die heutige gegen ehemals ganz veränderte Lage 
gefchaffen. Der Züchter von heute weifs, dafs er nicht fe blos die Befchaffen- 
heit der Wolle ins Auge zu faflen hat, fondern auch darüber den Körperbau nicht 
vernachläffigen darf; ja dafs letzterer oft fogar in den Vordergrund der Berück- 
fichtigung treten mufs. Nicht mehr hochfeine und hochedle Wolle mit all ihren 
Vorzügen allein zu erzeugen gilt heute als unbeftrittenes Ziel dem Züchter, fon- 
dern der Calcul fetzt das jew eilig anzuftrebende „goldene Vliefs“ feft. Das Ver- 
hältnifs zwifchen Körpermaffe, Wollmenge, Wollfeinheit etc. wird beliebig ver- 
fchoben und nur dahin im Principe feftgeftellt, wie es die befte Verwerthung eines 
gegebenen Quantums Futter ermöglicht. In vielen Fällen liefs fich auch auf der Aus- 
ftellung das Fortfchreiten der Schwenkung von Wolle- zur Fleifchproduction wal 
nehmen. Es bildet diefe Richtung geradezu einen fehr wefentlichen Theil 
   
Signatur für die heutige Schafsucht.: und wie überhaupt in een Uebergang 
ftadium zu einer neuen Epoche die abfterbende Macht nochmals alle Kräfte 
zufammenrafft, um fich zu behaupten und die alte Herrfch aft wieder herzufte 
fo hat es auch hier an Kämpfen nicht gefehlt, ja die vollftändige Wafl fenruhe ift 
fogar heute noch nicht hergeftellt; aber die Gewalt der Dinge hat fich glei 
falls mächtiger gezeigt als die der Menfchen. Der deutfche Ausftellungskat: og 
gibt in einer Notiz den ziffermäfsigen Beleg hiefür, in der es heifst; dafs nac 
ungefähren Schätzungen und ftatiftifchen Erhebungen von den 29 Millionen 
Schafen, die das deutfche Reich befitzt, circa 14 Millionen der Merinorace und 
deren Unterabtheilungen, circa 7 Millionen den englifchen Racen und deren 
Kreuzungen und circa 8 Millionen den fogenannten Landfchafen angehören. 
Deuichland erkannte früher die Bedeutung der Schatten, die die Ereig- 
niffe vorauswarfen und trug ihnen durch die That Rechnung. Dadurch ift es uns 
um einen weiten Schritt voraus und befitzt eine Anzahl Stammheerden, die die 
verfchiedenen, durch die eingetretenen Verhältniffe neu gefchaffenen Ziele in uk 
  
eminenter Weife repräfentiren. Diefe haben für uns gegenüber den englifchen 
und franzöfifchen — auch felbft abgefehen von den letztere betreffend bereits 
oben erwähnten Vorzügen — manches voraus, als: durch ihre Lage gebotene 
leichtere Erreichbarkeit und die Vortheile der Acclimatilation. Der formenden 
Schöpfungskrait der deutfchen Züchter ift damit Gelegenheit geboten, fich noch 
weiter und neuerdings zu bewähren. 
Ebenfo gut als es immer längerer Zeit bedarf, bevor einemeue grofse Idee 
in Fleifch und Blut überge Be ift und die ihr ee rende Bewegung erzielt 
hat, ebenfo überfchreitet diefelbe nur zu leicht in einzelnen Fällen, wie auch im 
Ganzen ihre Grenzen; können wir hier wieder in den Anfchauungeı 
  
jener Züchter wahrnehmen, welche heute behaupten, dafs die Zukunft dem engl 
fchen Fleifchfchafe einzig und allein gehöre. Local mag diels ganz Allg fein, 
aber über ein ganzes grofses Land mit verfchiedenartig befchaffenen Verhältniffen 
o- 
dasfelbe auszufprechen, dürfte als etwas gewagt erfcheinen. Das Flei fchfchaf 
fetzt die Erfüllung Te günftiger Bedingungen voraus, wie fe nicht überall 
geboten werden können, und entweder fich nur mit unverhältnifsmäfsigem Auf- 
wande oder überhaupt gar nicht befriedigen laffen; während dem entgegen die 
Anfprüche des Merinofchafes viel befcheidener find und dasfelbe unter feiner 
Natur entfprechenden Verhältniffen noch lange fteht, wo fein Concurrent fchon 
darben müfste und dabei, ftatt feine hohen Vorzüge zu entwickeln, en 
würde. Solcher Verhältniffe gibt es aber fehr viele. Hochzucht mit Merinofchafe 
zutreiben, ift auch nicht Je dermanns Sache und die bisherigen Siege des Wiffens 
und des Könnens über den Widerftand der Natur waren und können noch-immer, 
wie beiderfeits Beifpiele lehren, fo erfolgreich fein, nm auch den heutigen geän- 
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derten Verhältniffen gegenüber noch Stand zu halten. Der Berichteritatter der 
1867er Parifer Ausfte lung, Regierungsrath Profeffor W. Hecke fprach in feinem 
diefsbezüglichen Berichte fchon diefen Gedanken aus und motivirte ihn damit, 
   
   
  
  
  
    
  
  
  
  
   
  
  
   
  
  
    
  
  
   
  
  
   
  
  
  
   
  
  
  
   
   
   
  
  
   
   
   
  
  
  
  
  
  
   
   
   
   
    
  
   
  
	        
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