8 46. Ströme in einem ableitenden Bogen. 93
den Elektroden sich Wirkungen geltend machen trotz der geringeren Stromdichte.
Solche Fälle kommen auch in physiologischen Versuchen vor und können hier zu
Täuschungen Anlass geben.
Legt man an einen Nerven Drähte und leitet durch diese elektrische Ströme
zu, so ist dieht an den Drähten die Stromdichte am grössten. Enthält der Nerv Fasern
von verschiedenen Funktionen (wie z. B. der Halsvagus), so kann der Effekt ver-
schieden ausfallen, je nachdem die einen oder die andern Fasern stärker oder auch
allein genügend stark durch die Ströme gereizt werden.
Denken wir uns an den von Strömen durchflossenen Leiter einen
zweiten Leiter angelegt, durch dessen Berührung jedoch keine elek-
tromotorischen Kräfte erregt werden sollen, so werden sich auch durch
diesen die Ströme ergiessen, das Ganze wird ein neues System von
anderer Gestalt darstellen. Hierin wird aber auch nichts geändert,
wenn der angelegte Leiter, den wir uns von linearer Gestalt denken
wollen, den körperlichen Leiter nur in zwei Punkten berührt. Es wird
sich dann durch diesen Leiter ein Strom ergiessen, dessen Stärke von
dem Widerstande des Leiters und der Art seiner Anlegung abhängt.
Schaltet man in diesen Leiter ein strommessendes Werkzeug ein, und
misst die Stärke des durch ihn sich abzweigenden Stromes, bei ver-
schiedenen Arten der Anlegung an den körperlichen Leiter, so kann
man daraus die Verteilung der Ströme in letzterem kennen lernen.
Hiervon wird im 10. Kapitel ausführlicher die Rede sein. Man nennt
den solchergestalt an einen von Strömen durchflossenen Körper ange-
legten linearen Leiter den ableitenden Bogen, die Anlagerungs-
punkte heissen die Fusspunkte des Bogens, und die Entfernung
der Fusspunkte von einander die Spannweite.
Ist der körperliche Leiter nicht, wie wir bisher stillschweigend angenommen
haben, in sich homogen, sondern aus Leitern von verschiedenen Widerständen zu-
sammengesetzt, so ändert sich natürlich dadurch der Gang der Stromeskurven.
Denken wir uns den Leiter wiederum in eine Anzahl gleich dicker Streifen zerlegt,
welche alle in dem Ein- und Austrittspunkt des Stromes zusammenlaufen, so wer-
den diejenigen Streifen, welche Teile von geringerem Leitungsvermögen enthalten,
natürlich einen grösseren Widerstand bieten. Da nun die durch die einzelnen
Streifen gehenden Stromanteile in umgekehrtem Verhältniss zu ihrem Widerstande
stehen, so ist klar, dass durch jene Streifen ein geringerer Stromanteil gehen muss.
Eine genauere Verfolgung soleher Probleme ist jedoch äusserst schwierig. Diejenigen,
welche sich mit dem Gegenstande eingehender bekannt zu machen wünschen, ver-
weise ich auf die Arbeiten von Kirchhoff (Pogg. Ann. Bd. 64. S. 497. Bd. 67.
S. 344. Bd. 75. S. 169.), Helmholtz (Pogg. Ann. Bd. S9. S. 213 und 353.),
Smaasen (Pogg. Ann. Bd. 69. S. 161.), Bosscha (Pogg. Ann. Bd. 104. S. 460.)
und auf die ausführliche Darstellung in du Bois-Reymond’s Untersuchungen
über tierische Klekirizität (Bd. 1. $. 561), wo die speziellen elektrophysiologischen
Probleme behandelt sind.