Kapitel 1.
Von den elektrischen Flüssigkeiten und ihren gegen-
seitigen Anziehungen und Abstossungen.
$ 1. Als Grund der Erscheinungen, welche wir elektrische
nennen, nehmen die Physiker zwei hypothetische Flüssigkeiten an,
die positive und die negative Elektrizität, welche, selbst un-
wägbar, an der wägbaren Materie haftend, diese in Bewegung zu
setzen oder sich selbst in jener zu bewegen vermögen, nach Gesetzen,
welche wir bald näher betrachten wollen. Die Eigenschaften, welche
diesen Flüssigkeiten zugeschrieben werden, sind folgende: Jede der-
selben stösst die ihr gleichnamige ab und zieht die ent-
gegengesetzte an, und diese Abstossung und Anziehung
geschieht in umgekehrtem Verhältniss der Quadrate ihrer
Entfernungen.
Denken wir uns nun einen Körper erfüllt mit gleichen Mengen
entgegengesetzter Elektrizitäten, welche wir mit +E und —E be-
zeichnen wollen, so kann dieser auf einen anderen Körper, welcher
ebenfalls gleiche Mengen beider Elektrizitäten, etwa +e und —e,
enthält, keinerlei Wirkung ausüben (ganz abgesehen natürlich von den
Wirkungen der Schwere und anderer nicht elektrischer Kräfte). Denn
es wird ja die Abstossung zwischen +E und +e, —E und —e
aufgehoben durch die genau gleiche Anziehung zwischen +E und —e,
—E und -—+e. Diesen Zustand der Körper, in welchem dieselben
gleiche Mengen entgegengesetzter Elektrizitäten enthalten, in welchem
sie also keiner elektrischen Wirkung fähig sind, nennt man daher den
unelektrischen oder neutral elektrischen Zustand.
Wenn jedoch durch irgend einen Umstand die Verteilung der
Elektrizitäten in einem Körper so geändert worden ist, dass er. von
der einen Elektrizität eine grössere Menge enthält, als von der ent-
gegengesetzten, so wird er auf andere Körper anziehend oder abstossend
Rosenthal u. Bernhardt, Elektrizitätslehre. III. Aufl. 1