$ 111. Stromwendung. — Volta’sche Alternative. 279
- Abgesehen endlich von denjenigen Erregungen, welche an einem
motorischen Nerven durch das Schliessen oder Oeffnen einer konstanten
Kette hervorgerufen werden können, ist auch für den Arzt und Elek-
trotherapeuten die Kenntniss der besonders von J. Rosenthal‘ klar
gelegten Tatsache von Wichtigkeit, dass der konstante Strom die
Nervenerregbarheit für die Oeffnung des einwirkenden und die Schliessung
des entgegengesetzt fliessenden Stroms erhöht, sie aber für die
Schliessung des einwirkenden und die Oeffnung des entgegengesetzten
herabsetzt. Durch den Kommutator oder Stromwechsler lässt sich nun
diese Veränderung der Stromesrichtung ungemein prompt und schnell
ausführen: es wird durch diese Prozedur der „Stromwendung“
(Volta’sche Alternative) eine bedeutende Erregung des Nerven
bewirkt, weil sich zwei Erregungen im Nerven summiren (die durch
die Oeffnung und die durch die Schliessung des Stroms bedingte) und
weil die durch den Stromesschluss (bei Wendung vom positiven auf
den negativen Pol) gesetzte Erregung in eine durch die vorangegangene
Polarisation in ihrer Erregbarkeit beträchtlich gesteigerte Nervenregion
fällt (de Watteville®®).
Es ist also die Wendung des Stromes das mächtigste Reizmittel
für den Nerven; nur wenn der Nerv auch auf diesen Reiz nicht mehr
reagirt, kann man von Erloschensein seiner galvanischen Erregbarkeit
reden.
Schliesslich noch eine Bemerkung, welche bei der Feststellung
eines Planes zur Untersuchung der elektrischen Erregbarkeit eines
motorischen Nerven zu beachten ist: man vergesse nie bei der Unter-
suchung alle erreichbaren Punkte eines Nerven dem Einfluss
beider Stromesarten zu unterwerfen. Denn wie wir weiterhin bei der
Besprechung der pathologischen Zustände an peripherischen Nerven
sehen werden, kann es z. B. sein, dass unterhalb einer Läsionsstelle
am Nerven von diesem aus sehr wohl das von ihm innervirte Muskel-
gebiet in Kontraktion versetzt werden kann, von oberhalb der Läsions-
stelle her aber nicht (viele Fälle sogenannter leichter peripherischer
Lähmungen), oder es kann umgekehrt von einem über der Läsions-
stelle gelegenen Punkte durch den elektrischen Reiz der Muskel zur
Zusammenziehung gebracht werden, nicht aber von einer unterhalb
der erkrankten Stelle gelegenen Strecke her (wie z. B. in späteren
Stadien sogenannter schwerer peripherischer Lähmungen). Es werden
diese Verhältnisse in dem Kapitel der Elektropathologie der Nerven
und Muskeln noch ihre nähere Besprechung finden.