293 Vorkommen d. Entartungsreaktion beispinalen Erkrankungen. Kap. XVI.
lauf akuter (meist Infektions-) Krankheiten in einen Zustand paren-
chymatöser Entzündung geraten, welche in ihrem weiteren Verlauf eine
Destruktion der Nerven und Muskeln und damit Lähmungs- und
atrophische Zustände herbeiführen und welche sich dann den elek-
trischen Einwirkungen gegenüber ebenso wie gemeine, zweifellos trau-
matische Lähmungen verhalten. So sind nach Typhus, Pocken,
Diphtherie derartige Zustände wiederholt beobachtet worden. (Vergl.
später.) Ein ganz besonderes Interesse bieten nun aber diese Zustände
von Entartungsreaktion bei bestimmten Erkrankungen zentraler
grauer Hirn- resp. Rückenmarkssubstanz dar. Schon oben
wurde darauf hingewiesen, dass die motorischen Nerven ihre trophischen
Zentren in der grauen Rückenmarkssubstanz, speziell den gangliösen
Elementen der Vordersäulen haben. Von ihnen losgelöst fallen sie
und mit ihnen die zugehörigen Muskeln der Degeneration anheim. Ist
dies der Fall, so wird die Degeneration der Nerven und Muskeln
sicher eintreten, wenn die Ursprungsstätten dieser Gebilde, wenn deren
trophische Zentren selbst durch irgend welche pathologische Prozesse
zerstört werden. Diese scheinbar aprioristische Ansicht wird nun durch
die Erfahrungen der Klinik in vollem Maasse bestätigt. Als Typus
derartiger Zustände kann die sogenannte spinale Kinderlähmung
betrachtet werden, als deren pathologisch-anatomische Grundlage eine
Myelitis der vorderen Abschnitte der grauen Substanz des Rückenmarks
anzunehmen uns mehr als ein Obduktionsbefund berechtigt. Und in der
Tat sehen wir denn auch hier die elektrischen Erscheinungen sich so ent-
wickeln resp. verlaufen, wie dies bei schweren peripherischen Lähmun-
gen der Fall ist. Bekanntlich ist es ja auch das Fehlen der faradi-
schen Erregbarkeit und die schnelle Abmagerung der gelähmten Muskeln,
welche neben anderen hier nicht weiter abzuhandelnden Erscheinungen das
Charakteristische der in Rede stehendenKrankheit ausmacht. Freilich ist
es schwer, die elektrischen Erscheinungen von Beginn an zu verfolgen:
nur wenigen Beobachtern mag dies vergönnt sein, und schwer ist es
überhaupt, bei Kindern (aus leicht begreiflichen Gründen) genau elektro-
diagnostisch vorzugehen; trotzdem steht fest, dass der schnelle Schwund
der indirekten Erregbarkeit für beide Stromesarten, die Herabsetzung
der direkten faradischen Erregbarkeit und in einigen früh untersuch-
ten Fällen die erhöhte Erregbarkeit der gelähmten und direkt mit dem
konstanten Strom gereizten Muskeln, sowie die Trägheit der Zuckungen,
ferner die Umkehr der Formel von mehr als einem zuverlässigen
Beobachter gesehen und beschrieben worden ist. (S alomon°®.) Was
für die spinale Kinderlähmung gilt, gilt auch für die als Polio-