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Hyperästhesie d. Hörnerven. Brenner's „paradoxe Reaktion“. Kap. XVII.
andern, gar nicht direkt unter den Einfluss des Stromes gebrachten
Ohres, aber in umgekehrter Weise, so, als befände er sich unter dem
Einfluss des anderen Pols. Ist die Erkrankung des Ohres einseitig,
so kann es kommen, dass das gesunde Ohr noch gar nicht, resp. über-
haupt nicht auf den galvanischen Reiz antwortet, während das leidende
Ohr schon bei höchst geringen Stromstärken in der eben erwähnten
„paradoxen“ Weise reagirt. Der erwähnte, von Brenner gewählte
Ausdruck „paradox“ ist, wie schon Erb!20 hervorgehoben und
wie auch unsere !'?! Ansicht ist, ‚heute nicht mehr passend, wo bei
erweiterter Erkenntniss der Stromverteilung durch Kopf und Hirn
die Tatsache wohl nicht mehr als paradox hingestellt werden kann,
dass ein empfindliches Nervengebilde (N. acustieus) auch durch sehr
schwache Stromschleifen noch erregt werden kann. Ist z. B. ein Ohr
(etwa das linke) das leidende, ruht die differente Elektrode, z. B. die
Anode am rechten Ohre und die andere irgendwo am Körper, so tritt,
wie wir wissen, der Strom in relativ grosser Dichte in die dem rechten
Ohre benachbarte Gegend ein, um sich in dem gut leitenden (Hirn-)
Gewebe nach allen Seiten hin auszubreiten und sehr schnell an Dich-
tigkeit abzunehmen: er tritt gleichsam an der linken Seite (dort
also, wo sich der kranke und überempfindliche N. ac. sin. befindet)
aus; es ist so, als ob dort die Kathode läge und der Hörnery reagirt
im Sinne der dort gleichsam applizirten Elektrode, in diesem unserem
Beispiele also der Kathode. Ueberhaupt muss man zugeben, dass
diese verschiedenen Reaktionsverhältnisse, wie sie im Vorstehenden
mitgeteilt sind und in der Tat beobachtet werden (über das faktische
Vorkommen derselben kann kein Zweifel bestehen) vorläufig nicht
nur auf verschiedene Erkrankungen des N. acusticus selbst etwa be-
zogen werden können,. da hier offenbar die durch die verschiedenen
Erkrankungen des äusseren und des Mittelohrs bedingten so ungemein
variablen Leitungsverhältnisse eine nicht unbedeutende Rolle spielen.
Zudem ist mehrfach festgestellt, dass z. B. bei durch Fractura basis
cranii gesetzten Hörstörungen resp. bei vollkommener Taubheit, in
Fällen, wo schwere Facialislähmungen vorhanden waren, also unter
scheinbar ganz gleichen pathologischen Verhältnissen, die elektrischen
(galvanischen) Reaktionen von einander sehr verschieden waren; wir
sind daher bis heute noch nicht in der Lage, diejenigen Affektionen
des N. acusticus oder selbst derjenigen Apparate, welche den Schall
leiten, zu bestimmen, welche gerade nur eine bestimmte Reaktion
bei galvanischer Reizung im Gefolge hätte.
Wenn Zustände, wie sie Brenner als Hyperästhesie mit para-
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