Kapitel II.
Von den elektrischen Strömen und ihren Wirkungen.
$ 14. Wir haben bisher die Elektrizität nur im Zustande der
Ruhe betrachtet, wo sämmtliche auf sie wirkende Kräfte sich im
Gleichgewicht ‚befanden. Jetzt wollen wir auf die Vorgänge eingehen,
welche Statt haben, wenn dieses Gleichgewicht gestört wird, und die
elektrischen Teilchen sich in Bewegung setzen, um die neue, durch
die veränderten Bedingungen ihnen zukommende Gleichgewichtslage
aufzusuchen.
Setzt man einen mit positiver Elektrizität geladenen und isolirten
Konduktor durch einen Leiter, beispielsweise einen Metalldraht in Ver-
bindung mit der Erde, so wird der Konduktor unelektrisch, indem
seine ganze Elektrizitätsmenge nach der Erde entweicht, wo sie wegen
der unendlich grossen Oberfläche eine so geringe Dichte erlangt, dass
sie unmerklich wird. Was ist nun in dem Leiter vorgegangen, wäh-
rend sich die Elektrizität des Konduktors durch ihn hindurch nach der
Erde hin bewegte?
Um hierüber zu einer klaren Vorstellung zu gelangen, wollen wir
uns den leitenden Draht denken als zusammengesetzt aus lauter pa-
rallelen Scheiben oder Querschnitten, welche sämmtlich senkrecht auf
der Längsaxe des Drahtes stehen, und welche wir der Reihe nach
mit 1, 2, 3 u. s. f,, vom Konduktor aus nach der Erde hin gezählt,
bezeichnen wollen.
Im ersten Moment der Berührung wird die freie Elektrizität
des Konduktors die natürlichen Elektrizitäten im Querschnitt 1 zer-
setzen, die negative anziehen und die positive abstossen. Die ange-
zogene negative Elektrizität wird sich mit einem Bruchteil der positiven
Klektrizität des Konduktors verbinden und diesen neutralisiren; der
Konduktor hat also einen Teil seiner freien Elektrizität eingebüsst und