Full text: Wanderfahrten eines Kunstfreundes in China und Japan

   
Durch Rußland, Sibirien und die Mandſchurei 
Moskau, 18. November 1925. Meine Pilgerfahrt nach dem Oſten hat 
gut begonnen, und die erſte Station liegt hinter mir. Am 14. November 
bin ich abends um 6 Uhr von Berlin abgefahren, am anderen Morgen 
wurde die litauiſhe und am Nachmittag die lettiſhe Grenze überſchritten. 
In der Nacht trafen wir in Riga ein. Meine erfte Neifebefanntfchaft war 
ein junger Chineſe aus Tientſin, der ein paar Monate in Paris als Auto- 
tehniker ſtudiert hat und jeßt in die Heimat zurückehrt, ein Eluger, befchei- 
dener Menſch, ein angenehmes Franzöſiſh fprechend. Da er Feine andere 
Sprache verſtand, mußte ich ihn bei der Ankunft in Riga zwiſchen zwei 
Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett auf ein Polizeibüro begleiten, denn 
er hatte ſi< in Paris aus Verſehen ein eſtniſhes ſtatt dem lettiſchen 
Durchreiſeviſum geholt und mußte das Verſäumte nun mit viel Pla>erei 
und dreifachen Koſten nachholen. Es regnete, und der Bahnhof mit den ganz 
unbeleuhteten Perrons machte einen troſtloſen Eindru>, einen wenig ein- 
ladenden auch der ruſſiſhe Zug, den wir nun beſtiegen. Auf den breiten 
Bänken ſ{<hlief man, fo gut eg ging; die ſtrenge Zollkontrolle auf dem Bahn- 
hof in Sebeſch ging beſſer, als erwartet, vorüber; nun fuhr man wie am 
Tage zuvor ſhon durch ein flaches und ódes Land zwiſchen Moor, Unter- 
holz, Eleinen Seen und Färglichen Adern. Hier und da zeigten ſih ein paar 
ſtrohgede>te Vlockhäuſer und kleine Gehöfte, ſpärlich verſtreut in der end- 
loſen ruſſiſhen Ebene. Es entſpann ſich ein Geſpräch mit den Fahrtgenoſſen, 
einem Profeſſor der Medizin an der Univerſität Kaſan, der von einer 
Studienreiſe nah England und Frankreich na< Hauſe fuhr und über den 
Zuſtand der ärztlihen Wiſſenſchaft und Praxis in ſeinem Lande ſehr peſſi- 
miftifch berichtete, einem jüdiſchen Kaufmann oder Bankier gus Kowno, 
der als Wirtfchaftsfachverftändiger zu einer Handelskonferenz nah Moskau 
fuhr. Diefer Menfch überfchüttere ung mit einem Schwall von unverſtandener 
Philoſophie und einer fürchterlihen Dichtung in jiddifcher Sprache, die er 
aus einem hebräiſhen Manuſkript zum beſten gab. Der Medizinmann be- 
merkte dazu, dies wäre ein höchſt intereſſantes Material für Profeſſor Freud. 
Am Abend machte ſi eine häßliche kleine Polin an mic heran, offenbar 
um mic auszuforfchen; es geſellte fi) ein großer finſterer Ruſſe zu uns, 
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
	        
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