Full text: Wanderfahrten eines Kunstfreundes in China und Japan

  
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
  
  
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
    
   
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Betrachten- 
Kyoto II 179 
den vorgewieſen, ebenfo ein jchmaler, brauner Bambuslöffel, von Rikkyus 
eigener Hand geſchnitten und von unbefchreibliher Eigenart und Eleganz 
der Biegung, das edelſte von allen Teegeräten hier. Dann miſcht der Abt 
in der Schale das heiße Waſſer mit dem grünen Teepulver und quirlt die 
Miſchung ſorgfältig mit dem zwiſchen beiden Händen gedrehten Bambus- 
quirl. Die erſte Schale Tee iſ bereitet und wird mit tiefer Verneigung dem 
erſten Gaſte geboten, der ſie mit beiden Händen ergreift und, ebenſo tief ſich 
neigend, über das Haupt emporhält — Domo domo, das bedeutet: ih bin un- 
würdig, dieſe Gabe zu empfangen. Dann richtet er fi) auf, halt die Schale 
an den Mund, zieht den Teeduft ein und leert ſie dann langſam, aber in 
einem Zuge. Mit neuer Verneigung und Dank gibt er die Schale dem Wirt 
zurü> und erhält auf einem wunderſchönen Tablett aus Notlad die weiß- 
beftäubten Kuchenklöße, von denen er einen auf den Tee hin genießt. Die- 
felbe Zeremonie, die mit feierlicher Würde, mit immer gleichen rituellen Ge- 
bärden und Worten vor fi) geht, wiederholt fic bei jedem der Gäſte, und zu- 
legt bedient der Wirt ſi ſelber auf die nämliche Weife. Dann werden nod) 
einige liebenswürdige und funftverftändige Betrachtungen über die Kunft- 
werke im Naum — diefer ſelber und jedes kleinſte Gerät ſind bedeutungs- 
volle und erleſene Werke — gewechſelt, endlih wird mit Verneigungen für 
das Vergnügen und die Ehre gedankt, und in derſelben Reihenfolge, wie ſie 
gekommen ſind, mit derſelben zarten und rücfichtsvollen Höflichkeit verlafien 
die Teilnehmer die friedlihe Klaufe und das ſtille Gärtchen, das zu ihr hin- 
führt. Das Chanoyu ift zu Ende, und man kehrt zu einer mehr weltlichen 
Heiterkeit zurü>. Wir gehen nun hinüber in das anſchließende Kloſter, wo 
in einem ziemlich großen und lichten Saal eine zahlreichere Gefellihart um 
eine lange Tafel ſih verſammelt und ein Abendeſſen aufgetragen wird. Es 
gibt viele und ſehr wohlſ<hme>ende Speiſen, aber alle ſind ſtreng vegetariſch 
aus Gemüſen und Früchten bereitet, und der Abt ift ſtolz darauf und auf 
die Delikatheit der vielen, oft ſehr raffinierten Kloſtergerichte, zu denen der 
gewöhnliche Tee getrunken wird. Nach dem Eſſen werden Bilder betrachtet, 
und der Abt hat einige der größten Schäße des Tempels zur Beſichtigung 
bereitlegen laſſen. So darf ich hier die zwei hönſten fleinen Tuſchbilder des 
Mu-<<'i in aller Muße genießen: den föftlich lebendigen Zweig mit den 
Früchten der Edelkaſtanie und die Kakifrüchte, das Vollkommenſte, was an 
Vereinfachung und Vergeiſtigung des allerſhli<teſten Vorwurfs wohl je 
ein Maler geſchaffen hat. Die Exiſtenz und die durhſihtige Duftigkeit dieſer 
ſehs Früchte, die umrißlos nur mit ein paar Fle>en fließender Tuſche hin- 
geſeßt ſind, iſt heilig rein wie das nüchterne Waſſer. Jn einem ſilbern kühlen
	        
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