192 Kyoto II
und in derfelben Umgebung, in der fie feit vielen Jahrhunderten fi abge-
ſpielt haben. Die Schönheit dieſer Bilder lag in dem merkwürdigen Schnitt
und in dem Farbenreihtum der alten Hof- und Zeremonialkoſtüme, von
denen jedes nur eine oder zwei Farben hat, die aber dur< die Mannigfaltig-
keit der verſchiedenſten reinen und ſatten Farben zuſammen einen ſo vollen
und bunten Klang ergeben wie eine Wieſe voll Blumen und Schmetterlingen.
Dazu kam die Farbigkeit der Architektur: das Holzwerk der äußeren Galerie,
in der wir ſaßen, war mennigrot geſtrichen, die Rü>kwand mit {warzen
und weißen Tüchern verhängt, das der mittleren Galerie alt und natur-
farben, das der Tempelfront oben mit altem, dunklem Karminla> über-
zogen. Die Zeremonie begann mit der Aufftellung zweier Truhen, zweier
Eimer mit geweihtem Waſſer und der dazugehörigen Bambusſtäbe mit den
Papierbüſcheln des Gohei im äußeren Hof. Zwei Prieſter in Blau und
Weiß, ſe<s Prieſter in Ziegelrot und Blaßblau, Tempeldiener in Schwarz,
zwei Bogenichüsen in Blau und Not, jehs Krieger in reinem Weiß laſſen
ſih an verſchiedenen Stellen des Hofs und im Durchgang der Galerie nie-
der. Nun erſcheinen in der Galerie der Oberprieſter und weitere Prieſter
in Schwarz, Blau und Weiß. Sie alle verneigen ſi tief in der Richtung
na< Weſten, denn von hier aus betritt der Geſandte des Kaiſers den Hof,
ein gewaltiger alter Mann in ſhwarzem Moiré über weiß und roten Hoſen,
der eine endloſe weiße Schleppe am Boden nachzieht. Sein Gefolge ſind
vier blau-rote Diener. Zwei andere Würdenträger in derſelben Tracht, der
cine in Scharlach, der andere in Orange, treten nacheinander auf, und alle voll-
ziehen an den Waſſergefäßen die rituelle Reinigung des Mundes, der Naſe
und der Hände. Dann laſſen ſie auf der Weſtſeite des inneren Hofes fi
nieder, wobei das Raffen der Schleppen mit höchſter Sorgfalt und Anmut
vorgenommen wird. Prieſter in Violett, Grün und Blau kommen die Stu-
fen des Tempels herab, andere in Scharlah, Grün und Blau, verneigen
fi) vor dem heiligen Baum in der Mitte des Jnnenhofs. Nun werden die
Geſchenke des Kaiſers, es ſind Brofatftoffe, zum Schrein emporgefragen,
der Geſandte in Schwarz-und der in Scharlach tragen feierlih langſam
einen Opfertifh Stufe um Stufe hinauf, wobei die Schleppen hochgebunden
find. Sie kommen wieder herab und laſſen ſi< vor dem Tempel nieder.
Weitere drei Tiſche, dann einzelne Opfergaben in weiß verhüllten Schachteln
aus den beiden Truhen werden nun von Paaren von Prieſtern mit immer
neuen feierlihen Verneigungen in den Schrein gebracht. Das alles währt
endlos, und die Zeit ſcheint ſtillzuſtehen. Das ganze Leben wird Feier und
heilige Handlung, wenn man in den Sinn dieſes Opferdarbringens ſih ver-