Nach Peking 321
Nachdem ich jo am Altar des Himmels allein für mic die ftillfte und
wunderbarſte Geburtstagsfeier begangen, ging ic hinüber auf die weftliche
Seite der Hauptſtraße, wo einſt der etwas kleinere Park des Shen-nung-t’an
ein zweites, jenem faft gleich geachtetes Heiligtum umfchloffen hat. Es war
dem Shen-nung geweiht, dem mythiſchen Herrſcher und Urvater einer graue-
ſten Vorzeit, der als erſter die Bebauung des Feldes den Menſchen gelehrt
haben ſoll. Er iſ gewiſſermaßen der chineſiſhe Gott des A>erbagus. Hier be-
fand fih auf marmorumſchränkter Terraſſe das heilige Aderfeld, auf dem
einmal im Jahr, am Tage des Frühlingsbeginns, der Kaiſer mit einem Ge-
ſpann gelber Stiere pflügend die erſten drei Furchen zog, um damit dem
ganzen Reich den Beginn der Feldbeſtellung anzuzeigen. Seit uralter Zeit
wußten die Chineſen, daß der A>erbau die Grundlage für das Leben der
Millionen bildet, und auch hier wieder war es der Kaiſer, der als Mittler
zwiſhen Himmel und Erde mit dem geweihten Pfluge ſinnbildlich ſelber
ſeinem Volk das Zeichen und Vorbild ſeiner Arbeit gab, damit aber wieder
wie in der Sonnwendnacht den Zyklus des Jahresumlaufs mit einer heiligen
Handlung eröffnete. Er tat es, nahdem er Shen-nung, dem Gott, ein feier-
lihes Opfer gebracht und ſo das Heute mit der Urzeit, das Irdiſche mit dem
Ewigen verknüpft hatte. Nah ihm pflügten die Kanzler und die Miniſter
des Reichs ein jeder fein Aderfeld, bis der heilige Acker beftellt war. Aber der
Beſuch dieſer Stätte war Feine Freude, ſondern eine arge Enttäuſchung.
Während nämlih der Himmelsaltar mit ſeinem Park und ſeinen Bauten
unberührt erhalten geblieben iſt, hat das China der Revolution das Heilig-
tum des A>erbaus nicht geachtet, ſondern total verwüſtet und eine Art
Volkspark und Nummelplak daraus gemacht. Wohl hat man die Tempel,
Terraſſen und Altäre ſtehen laſſen oder teilweiſe zu anderen Zwecken ver-
wandt, aber zwiſchen ihnen ſind Reſtaurants, Baraen u. dgl. errichtet, auf
der Opferterraſſe des Gottes erhebt ſi< ein Muſikpavillon übelſter Art aus
Eiſen und Glas, und der ganze Bezirk bietet das Bild gemeiner Profanie-
rung, ſo daß der Beſucher mit Schaudern fid abfehrt und gerne fo fchnell
als möglich entflieht. So folgte der Weihe des Morgens der Schmuß und
das Leid.
Am Nachmittag habe ih dann dem Liu-li-<ang, dem Straßenviertel der
Buch- und Altertumshändler im Nordweſten der Chineſenſtadt, einen erſten
Beſu gemacht. Da reiht ſih ein Laden an den andern, große und kleine,
man findet in Fülle alle Arten chineſiſher Kleinkunſt, findet Bildrollen,
Abklatſche und Handſchriften in unzählbaren Mengen, ſo daß man Tage ver-
wenden könnte, dies alles durchzuſehen, aber die erſten Proben enttäuſchen,
Fiſcher, Wanderfahrten 21