454 Reiſe dur< Shantung
Mehrere Male war ich diefer Tage im T’u-ſhu-kuan, das Bibliothek,
Muſeum und Volkspark zugleich iſt. Eine Reihe von Holzhallen und Pavil-
lons ſind hier in einem hübſchen Garten verſtreut, in dem viele Menſchen
müßig fißen, leſen, ſpazierengehen und Tee trinken. Eine kleine Menagerie
und ein Vortragsſaal ſind da, auch ein beſcheidener Felſengarten mit ſtillen
Wegen unter üppig blühenden Deander- und Granatbäumen. Jn einer
offenen Halle find viele Inſchriftſtelen aufgeſtellt, hier fand ich auh eine
Keihe von Reliefplatten aus den Grabfammern der Han-Zeit und Reſte guter
Steinplaſtik. Jn dem Felſenlande Shantung ſind die Gräber, Opferhallen,
Denktafeln und der Figurenfhmud der Grabwege immer aus Stein gemeißelt
worden, darum ſind hier mehr Überreſte, beſonders aus der Han-Dynaſtie, als
in anderen Provinzen erhalten oder aus der Erde gefördert worden, und es
iſt gerade in Shantung noh eine reihe Ausbeute des Bodens zu erhoffen.
Die flach gemeißelten Neliefplatten der Han-Gräber haben uns zum erften-
mal eine ungefähre Vorſtellung von der Malerei oder beſſer der Zeichnung
dieſer Zeit eröffnet, die in dem Rhythmus lebendig fortgleitender Linien-
bewegung die Grundform aller ſpäteren <ineſiſ<hen Darſtellung ſhon enthält.
Gerade hier ſcheint man auh dieſe Altertümer mit einiger Sorgfalt zu ſam-
meln, zu inventariſieren und zu pflegen. Jn den Buchläden der Innenſtadt
fonnte ich vollſtändige Folgen der Abklatſche von Hſiao-t’ang-ſhan und Wu-
liang-tſe erwerben, und ih entde>te hier Abreibungen eines no< unbekannten
Monuments, deſſen Wandplatten in reiner Liniengravierung große Figuren-
gruppen und reih entwi>elte Szenen von Opferhandlungen darbieten, die
offenbar aus der Han-Dynaſtie ſtammen und eine viel reifer und großartiger
entwicelte Darftellung zeigen als alles bisher Bekannte. Ich habe dieſe Ab-
reibungen erworben, aber leider niht erfahren können, wo fi die Originale
befinden. Dies ift mit die intereſſanteſte Entde>ung, die mir bisher in China
beſchieden war. Wer weiß, vielleicht rundet fi einmal das Bild, und es läßt
ſih die Malerei der Han-Dynaſtie rekonſtruieren.
Wenn man in die Umgebung hinauswandert, ſo liegt die große Stadt, von
Rauch und Dunſt überſchwebt, in einer weiten Ebene. Nah Süden erheben
ſich kahle grüne Hänge, gegen Oſten einzelne unvermutet aufſchießende ſteilere
Bergkegel, rieſenhaften Grabhügeln ähnlich, doh mit Felſen gekrönt. Im
Norden ſicht man fern den Strom, den Hoang-ho, dahinziehen. Innerhalb
der Nordmauer liegt der große Teich Tai-ming-hu, ganz mit den großen Blät-
tern und Blüten des Lotos bede>t, dur den einzelne freie Waſſerbahnen wie
Straßen ziehen. Eine Inſel mit Luſthäuſern liegt im See, am Nordufer ſind
Tempel hier und da verſtreut, und man ſieht ganze Familien oder Geſell-
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