Full text: Kepler. Galilei

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Vorzeigung an allerhöchster Stelle bestimmt war und deshalb 
mit diplomatischer Vorsicht abgefaßt werden mußte. Wir müssen 
bei ihm, weil er die Keime zu den schweren Verwicklungen der 
folgenden Jahre in sich schließt, etwas länger verweilen, indem 
wir uns ans die treffliche Verdeutschung von Reusch^) stützen. 
Es wird die Unfehlbarkeit der Schrift unumwunden zugegeben, 
nebenher aber die Möglichkeit, daß die Interpreten irren könnten, 
sehr scharf hervorgehoben. Man müsse sich immer gegenwärtig 
halten, daß der Bibeltext vielfach ein allegorischer und keines 
wegs immer durchsichtiger sei. „Da also die Bibel an vielen 
Stellen einer von der zunächst liegenden Bedeutung der Worte 
verschiedenen Auslegung nicht nur fähig, sondern auch bedürftig 
ist, so scheint mir, es sei ihr bei mathematischen Kontroversen 
der letzte Platz anzuweisen." Ähnlich wie wir es früher bei 
Kepler kennen lernten, streitet der Briefsteller der Heiligen 
Schrift die Eigenschaft eines Lehrbuches natürlicher Kenntnisse 
ab, denn Gott habe dem Menschen seine Fähigkeiten dazu ver 
liehen, über die Dinge, welche mit dem Heile der Seele nichts 
zu thun haben, sich aus eigener Kraft eine Ansicht bilden zu 
lernen. „Da die Bibel, wiewohl vom Heiligen Geiste ein 
gegeben, ans den angeführten Gründen an vielen Stellen Aus 
legungen, die sich vom Wortlaut entfernen, zuläßt, und da mir 
nicht mit Sicherheit behaupten können, daß alle Ausleger von 
Gott inspiriert seien, so glaube ich, man mürbe klug handeln, 
wenn man niemand gestattete, Bibelstellen dazu zu verwenden 
und gewissermaßen Zu nötigen, die Wahrheit irgendwelcher 
naturwissenschaftlicher Konklusionen zu stützen, von denen später 
die Beobachtung und beweisende und zwingende Gründe uns 
das Gegenteil lehren könnten. Und wer wird dem menschlichen 
Geiste Schranken ziehen wollen? ..." 
Der erst nach dem Tode des Schreibers in die Öffent 
lichkeit gedrungene Brief zirkulierte am Hofe und machte dort 
viel von sich reden. Überraschen kann es nicht, daß auch die 
Gegner in Rom ihre Abschrift erhielten, und daß deshalb
	        
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