Full text: Reformation des Himmels

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Der Platz der Cassiopea wird der Einfalt verliehen. 
Aus diesem allgemeinen Gemurmel des Beifalls erhob 
sich, noch bevor überhaupt jemand einen Antrag wegen 
der Cassiopea gestellt hatte, die Stimme des wütenden 
Mars: „Niemand“, schrie er, „o Götter, wage es, meinem 
kriegerischen Spanien diese Matrone streitig zu machen, 
Vereinbarkeit des Materialismus mit Religion und Ethik erweisen sollenden 
Werkes offen einräumt: „Für die Moral selbst, wie für die Psychologie, 
welche ihr zur Grundlage dient, muss die Beziehung, in welcher das 
Bewusstsein zu dem Körper steht, wie sie durch den Materialismus ausser 
Frage gestellt ist ^?), nur ein allgemeiner Gedanke bleiben“. Der 
materialistische oder pantheistische Leugner der Willensfreiheit ist nicht 
im Stande, den Affekt der Reue zu begreifen, wenn er ihn nicht geradezu 
in Abrede zu stellen oder doch als das Ergebnis blosser Erziehungsdressur 
zu entwerten vermag. Letzteres ist aber nicht möglich. Denn durch 
blosse Erziehung oder Dressur lässt sich wol eine bestimmte Haltungs 
weise des Verstandes und Willens, keineswegs aber eine bestimmte 
Reaktionsweise des Gefühls und Gemüts erzielen. Letztere ist stets 
naturwüchsig, sie lässt sich durch Verstandes- und Willensleitung vielleicht 
auf unrichtige oder richtige Bahnen lenken, aber an und für sich weder 
künstlich anlernen noch austilgen. Das Gewissen ist eben deshalb mehr 
als blosses Wissen, mag es auch durch Mass und Art des Wissens bedingt 
erscheinen; sein angeborner göttlicher Teil wurzelt in jenen Grundthat- 
sachen des Gemüts. Ob ein Mensch diese bestimmte Handlung bereut, 
das hängt von dem Grade seiner Einsicht ab, — dass er überhaupt dem 
Schmerzgefühl der Reue unterliegen kann, ist aber in seiner Natur 
a priori begründet. Eine solche Natureinrichtung wäre nun die reinste 
Natur-Absurdität vom Standpunkt der Weltanschauung, die jedes einzelne 
Geschehen aus der Notwendigkeit des gesamten Naturmechanismus 
erklären will, und jedenfalls nichts weniger als eine Tugend, wofern der 
Tugendbegriff für diese Weltanschauung überhaupt Sinn und Wert hat. 
Folgerichtig erklärt darum auch im entschiedensten Gegensätze zu Bruno 
der grosse Ethiker dieser mechanistischen oder deterministischen Philo 
sophie, nämlich Baruch Spinoza, Ethik IV, L. 54: „Die Reue ist keine 
Tugend oder entspringt nicht aus der Vernunft, sondern der, 
welcher eine Handlung bereut, ist zwiefach elend oder ohnmächtig“. 
Freilich, wenn eine böse That, die ja nach Spinoza niemals an und für sich 
böse ist, sondern nur nach dem relativen Nutzen oder Schaden von diesem 
oder jenem Individuum so oder anders beurteilt werden kann, wenn eine 
böse That dem, der sie begeht, eigentlich garnicht zuzurechnen ist, viel 
mehr das notwendige Ergebnis seiner durch die Gesamtweltlage bestimmten 
Hirnmolekülschwingungen ist. wozu begeht er dann noch die Dummheit, 
sie zu bereuen? Und doch ist auch diese Reue eine psychologische Not 
wendigkeit. man braucht kaum auf die packenden Darstellungen grosser 
Dichter von der Wirkung dieses Affekts, z B. auf „Sehiller’s Franz Moor“, 
„Shakespeares Richard HI. -1 zu verweisen, um sich zu vergegenwärtigen, wie 
wenig er sich selbst durch spinozistische Philosophie niederkämpfen lässt. 
Dass übrigens ein Philosoph wie Spinoza, der sein ganzes System ziemlich 
unbekümmert um die reichhaltigeren Erfahrungsthatsachen des Seelenlebens 
anderer aus 2—17 scholastischen Definitionen und Axiomen „more geo 
metrico“ d. h. in Wahrheit mit dialektischer Taschenspielerei heraus 
zaubert. sich so leichten Muts über ein tiefes psychologisches Problem
	        
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