Olbers an Gauss. Bremen, 1838 Mai 10.
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No. 719.
Olbers an Gauss.
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Bremen. 1838 Mai 10.
Es tliut mir unendlich leid, dass Sie Ihren trefflichen Weber höchst
wahrscheinlich verlieren werden. So weit ich die Lage der Sache be-
urtheilen kann, muss ich glauben, dass der König nicht nachgeben wird
und gewissermaassen auch nicht nachgeben kann, ohne eine Erklärung
oder Entschuldigung zu fordern, die der hochherzige Weber schwerlich
mit seinem Ehrgefühl verträglich finden wird. Aber wenn sich dieser
so ausgezeichnete Physiker auch von Göttingen entfernen und ander
wärts einen passenden Wirkungskreis suchen muss, so scheint mir da
durch doch seine Mitwirkung bei Ihren so interessanten magnetischen
Untersuchungen und Entdeckungen nicht aufgehoben, und die Ver
folgung der neuen Aussichten, die Ihnen der Bifilar-Apparat eröffnet
hat, nicht abgeschnitten. Für Sie persönlich und für Göttingen wird
der Verlust immer gross und unersetzlich bleiben; aber kann es der
Angelegenheit selbst nicht zuweilen auch vortheilhaft sein, wenn auch
an einem Orte ausser Göttingen gleichzeitige Beobb. ganz in Ihrem
Sinne und in Ihrem Geiste von Weber angestellt werden, und wird sich
nicht vieles einigermaassen, wenn auch nicht ganz, durch Briefwechsel
ersetzen lassen, was das persönliche Zusammenleben darbot?
Im Ernst haben Sie wohl nicht meinen Rath bei Wiederbesetzung
von Weber’s Stelle verlangt? Wie könnte Ihnen dieser von dem ge
ringsten Werth sein. Von den 3 mir genannten, Steinheil, Gerling
und Listing, kenne ich nur Gerling persönlich. Er ist Ihr dankbarer
Schüler, hängt mit Herz und Seele an Ihnen, und Sie haben ihn sich
früher, wie ich mich erinnere, wohl zum Kollegen gewünscht. Vor
Steinheil’s grossem Genie habe ich alle mögliche Achtung, doch hat
es mir zuweilen geschienen, als wenn er vieles anfängt, das er nicht
zu Ende bringt. Bei seiner heftigen Streitigkeit mit Encke war ich
geneigt, ihn für etwas rechthaberisch, eigensinnig und leicht aufgereizt
zu halten, weil ich damals Encke nur als einen sehr bescheidenen und
sanften Mann kannte. Allein das Benehmen von Encke gegen Bessel
hat mich die Sache anders beurtheilen lassen. — Von Listing weiss
ich gar nichts, kenne auch seine Doktor-Dissertation gar nicht.
Ich sollte hoffen, dass Sie nach genommener Rücksprache mit Weber
Ihren Lesern beim Schlüsse der Resultate für 1837 die Fortsetzung
dieser so wichtigen Schrift ankündigen werden.
Ihre auch mir so liebe Frau Tochter, Frau Prof. Ewald, wird nun
wohl bald Göttingen und Sie verlassen. Ich wünschte, dass Sie beider
seits den schmerzhaften Abschied schon überstanden hätten. Sehr gern