Full text: Lexikon der Astronomie

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Ablenkung 
der Lotlinie. 
Es wurde bereits erwähnt, daß bei 
einer A. d. L. auch die Oberfläche des still 
stehenden Wassers oder einer andern 
Flüssigkeit aus der horizontalen Lage ab 
gelenkt wird. Es werden also auch die 
Angaben der Wasscrwage unrichtig, und 
wenn wir die Höhe eines Sterns mit 
Hilfe eines Fernrohrs messen, dessen ho 
rizontale Stellung durch eine Wasserwage 
angegeben wird, so werden wir denselben 
Fehler begehen, als wenn die vertikale 
Stellung des Fernrohrs durch ein Lot an 
gegeben würde. 
Um zu einer Kenntnis der Lotablen 
kung zu gelangen, muß man den Unter 
schied in der geographischen Länge und 
Breite zweier Orte auf astronomischem 
Weg und auf geodätischem ermitteln. Der 
Einfachheit halber wollen wir uns denken, 
beide Orte liegen auf demselben Meridian, 
und wir finden, etwa durch Beobachtung 
von Kulminationshöhen des Polarsterns, 
daß ihre geographischen Breiten </> und qi 
sind. Nun kennt mau aber (wenigstens 
mit großer Annäherung) die Größe und 
Gestalt des Meridians,' und man kann 
daher die Größe des Bogens zwischen den 
beiden Orten berechnen. Weicht diese 
Größe von der durch geodätische Mes 
sungen ermittelten ab, so ist dadurch eine 
Lotablenkung angezeigt. An welcher der 
beiden Stationen dieselbe stattfindet, ist 
aber damit noch nicht festgestellt, denn es 
ist klar, daß ein und derselbe Fehler, z. B. 
ein zu großer astronomischer Breiten 
unterschied, erhalten wird, wenn an der 
nördlichern Station das untere Ende des 
Lots nach S., als wenn an der süd 
lichen das untere Ende nach N. ab 
weicht. Der Fehler kann auch an beiden 
Stationen in gleichem oder auch in ver 
schiedenem Sinn vorhanden sein. Ja, 
wenn die Lotablenkuugen an beiden Sta 
tionen gleich sind, so wird die geodätisch 
ermittelte Breitendifferenz sogar mit der 
auf astronomischemWege gefundenen über- 
cinstimmen. Will man daher den Wert 
der Lotablenkung finden, so ist noch not 
wendig, daß man einen Punkt kennt, wo 
dieselbe gleich Skull ist. Von diesem Punkt 
geht man dann bei der Vergleichung aus. 
Einen solchen Punkt kann man freilich 
nicht mit apodiktischer Gewißheit angeben; 
wenn aber rings um einen Punkt auf 
weite Entfernungen hin keine größern 
Bodenerhebungen und auch kein auffäl 
liger Unterschied in der Dichte der Mate 
rialien, welche die Erdkruste zusammen 
setzen, vorhanden ist, so wird man mit 
großer Wahrscheinlichkeit die Lotablenkung 
daselbst gleich Skull annehmen können. 
Die Lotablenkung tritt hauptsächlich in 
der Nähe von Gebirgen auf; sie beträgt 
z. B. in Genf 6,41 und in Bern 7,43 Bo 
gensekunden, in Mailand 12,83", an den 
beiden ersten Orten ist sie nördlich, d. h. 
die nach oben verlängerte Lotlinie weist 
nach N. über den Zenith hinaus, in Mai 
land ist sie südlich. Zwischen den Städten 
Duschel und Wladikawkas, die auf ent 
gegengesetzten Seiten des Kaukasus liegen, 
beträgt der Unterschied zwischen dem astro 
nomisch und dem geodätisch gemessenen 
Breitenunterschied 47,8" auf eine Strecke 
von 55' 50,6". Kleiner sind die Ablenkun 
gen, welche in Norddeutschland der Harz be 
wirkt. Geht man vom Seeberg bei Gotha 
aus, für welchen die Lotablenkung gleich 
Null gesetzt wird, weiter nach N., so finden 
wir inKraula eine südliche Ablenkung von 
2,r", in Mühlhausen eine solche von 4,3", 
verursacht durch den in ostwestlicher Rich 
tung streichenden Rücken der Hainlcite. 
Nördlich von dieser, in der Gegend von 
Löwenburg, gleicht sich die Wirkung der 
Hainleite rind des Brockens ziemlich aus, 
während noch weiter nördlich bei Tetten 
born durch die Anziehung des Harzeö eine 
südliche Lotablenkung von 5,i" sich geltest!) 
macht. Gehen wir in nordwestlicher Rich 
tung weiter um den Harz herum, so tref 
fen wir in Osterrode keine Ablenkung, 
dann wird dieselbe nördlich und beträgt 
in Schildberg 4,4", in Langelsheim 8,2" 
und erreicht in Harzburg ihren größten 
Wert 13,s". 
Die Lotablenkung ist aber nicht bloß auf 
die Umgebung von Gebirgen beschränkt, 
sondern man hat sie auch weit entfernt 
von solchen bemerkt. Besonderes Interesse 
bietet z. B. eine Stelle südlich von Mos 
kau, wo die Ablenkung in der Nähe einer 
von WSW. nach ONO. streichenden Linie 
in 4 km Abstand 2,2", bei 13 km 7,8",
	        
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