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Begriff' des Raumes.
weitläufig sein. Ungereimt wäre nur, wenn wir behaupteten,
daß in der kurzen Zeit die gleiche Menge von Augen
blicken wie in der längeren stecke, oder daß die unend
lich vielen Zeitlängen, in welche sich jene zerlegen läßt,
von einer gleichen Länge, wie bei irgendeiner längeren
Zeit wären.
Der Trugschluß endlich, der die Realität des Begriffes
der Zeit gänzlich vernichten will, liegt so am Tage, daß
es kaum eines Wortes zu seiner Widerlegung bedarf. Wir
gestehen ja, daß die Zeit überhaupt nichts Existierendes
sei, und so hat freilich weder die vergangene, noch die
zukünftige Zeit Existenz) denn selbst die gegenwärtige hat
keine: aber wie soll hieraus folgen, daß die Zeit nichts
sei? Sind denn nicht auch Sätze und Wahrheiten an sich
— etwas, obgleich sich niemand einfallen läßt, zu behaupten,
daß sie — wenn man mit ihnen nicht ihre Auffassung in
das Bewußtsein eines denkenden Wesens, also nicht wirk
liche Gedanken oder Urteile verwechselt — etwas Exi
stierendes wären?
# § 4»-
Hinsichtlich der Paradoxien in der Lehre vom Raume
ist es bekannt, daß man auch diesen nicht zu erklären ge
wußt; daß man auch ihn häufig für etwas Existierendes
gehalten, bald mit den Substanzen, die sich in ihm befinden,
verwechselt, bald ihn sogar für Gott selbst, wenigstens für
ein Attribut der Gottheit gehalten; daß selbst der große
Newton auf den Gedanken verfiel, den Raum für das
Sensorium der Gottheit zu erklären; daß man nicht nur
die im Raume befindlichen Substanzen sich oft bewegen,
sondern ihn selbst, d. h. die Orte ihre Orte verändern ließ;
daß man (seit Des Cartes) entdeckt zu haben glaubte,
nicht alle, sondern nur die sogenannten materiellen Sub
stanzen befänden sich im Raume; bis endlich Kant sogar
auf den unglücklichen, von vielen noch jetzt ihm nach
gesprochenen Einfall geriet, den Raum sowohl als die Zeit