Aus: Sonderheft „Stockholm“ Deutsche Gesellschaft
von „Bildmessung und Luftbildwesen‘“‘ für Photogrammetrie, München
1956, Berlin
Kartographische Erforschung
extremer Hochgebirge mittels Photogrammetrie
Von Professor R. Finsterwalder, München
Der Schwerpunkt der photogrammetrischen Entwicklung liegt derzeit zweifellos auf dem
Gebiet der geodätischen Photogrammetrie, ihrem Einsatz für Kataster und Flurbereinigung,
auf der zahlenmäßigen Festlegung von Punkten und Punktfeldern sowie auf der elektronischen
Berechnung von Aerotriangulationen auf Grund von Messungen am Stereokomparator. Hier
soll nun vom topographischen Gebiet die Rede sein, das ja auch ein Charakteristikum der
Photogrammetrie ist und wissenschaftlicher Pflege und Vertiefung bedarf. Nach der metho-
dischen Seite ist vor kurzem ein wichtiger Schritt in dieser Richtung getan worden, indem
G. Lindig!) Verfahren entwickelte, welche die besonderen Qualitáten photogrammetrisch
konstruierter Schichtlinien unter Beweis zu stellen erlauben; diese Verfahren lassen die Ge-
nauigkeit der Schichtlinien nicht allein punktweise prüfen, sondern gestatten,ihre Richtungen
und Krümmungen formelmáfiig in Abhängigkeit von der Gelündeneigung zu erfassen. Leider
war es nicht mehr móglich, diese interessante Arbeit noch für den Kongref) in Stockholm zu
veröffentlichen, so daß ein Hinweis auf die in der Zeitschrift für Vermessungswesen in Er-
scheinung begriffene Arbeit hier genügen muß. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle über
besonders fruchtbare Anwendungen der Photogrammetrie berichtet werden, die zur Er-
schließung bisher kaum bekannter extremer Hochgebirge geführt haben und zwar vor allem
in topographisch-kartographischer Hinsicht. Wesentlich ist aber dabei ferner, daß dies in
engster Zusammenarbeit mit verschiedenen Nachbarwissenschaften, vor allem der Geographie,
aber auch der Geologie und Glaziologie, die Vegetationskunde und Meteorologie geschehen ist
und geschieht. Dabei werden diese Forschungsgebiete ebenso durch die Photogrammetrie
befruchtet wie sie ihrerseits der topographisch-kartographischen Bearbeitung den rechten Sinn
und eine entsprechende Tiefe geben, so daß z. T. hochwertige und schöne Ergebnisse erzielt
werden konnten. Wesentlich ist es, daß diese Ergebnisse in Hochgebirgslandschaften gewonnen
wurden, die den klassischen Aufnahmemethoden der Topographie wegen unüberwindlicher
Geländeschwierigkeiten praktisch verschlossen sind und damit auch der Forschung auf anderen
Gebieten nicht zugänglich waren.
Methodisch ist dabei von wesentlichem Interesse, daß in erster Linie die terrestrische Photo-
grammetrie verwendet wird, weil sie im Zuge mit der Festpunktsbestimmung ohne übergroßen
Aufwand auch die topographische Aufnahme ermöglicht. Freilich erfordert die Feldarbeit
große körperliche Anstrengung bei der Überwindung der Höhenunterschiede vom Tal zu den
geodätischen Festpunkten auf den Gipfeln und zu den photogrammetrischen Standlinien, die
meist in halber Höhe zwischen den Gipfeln und der Talregion in oft sehr unwegsamem Gelände
so angelegt werden müssen, daß von ihrer Gesamtheit aus das Arbeitsgebiet nach Möglichkeit
lückenlos erfaßt wird. Auch die geodätische Einmessung der Standpunkte ist nicht leicht; sie
erfolgt mit Hilfe rasch entwickelter Triangulationen und trigonometrischer Punkteinschaltun-
gen. ohne die Möglichkeit, vorher systematisch zu signalisieren. Es ist aber notwendig, die
einwandfreie, durch genügend Ü berbestimmungen gesicherte Berechnung der Fest- und
Standpunktskoordinaten sicherzustellen, wobei astronomische Azimutbestimmungen evtl.
unter Benützung des neuen Sonnenprismas von Roelofs und nachträgliche Ausmessung der
1) G. Lindig. Prüfung von Schichtlinien. ZfV 1956, Heft 7.