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„Niemand soll Dich erreichen, so lange er sich
noch Vorwürfe macht, seinen guten Verstand und sein
gesundes Hirn aufgegeben zu haben.“
Ich glaube, dass er damit sagen wollte, man müsse
notwendigerweise erst auf die Besonnenheit des Urteils
und der Klugheit verzichten und dürfe niemals an die
Unsicherheit und Treulosigkeit der Zeiten denken, nicht
achten auf das Zweifelhafte und Ungewisse der Ver
sprechungen des Meeres, nicht glauben an den Himmel
und nicht bauen auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit,
sich nicht kümmern um Ehre und Schande, um gutes
Wetter oder Sturm, sondern man müsse alles der blinden
Fortuna anheimstellen, um sie zu erlangen. „Hüte Dich,“
sprach er, „jemals Dich zu jenen zu schlagen, die mit
allzuviel Überlegung und Urteilskraft nach Dir suchen,
lass Dich am schwersten von denen auffinden, die Dir
mit den meisten Fanghaken, Schlingen und Fallstricken
der Vorsicht nachstellen, sondern zeige Dich für gewöhnlich
da, wo die dümmsten und seichtesten Thoren und die
sorglosesten Tröpfe sich aufhalten, und überall, wenn Du
auf Erden weilst, scheue den Weisen wie das Feuer,
und mach Dich lieber gemein und befreundet mit halb-
■ tierischen Leuten und halte immer denselben Kurs wie
die Göttin des Glücks. J )
Saulin: Es ist eine gewöhnliche Erfahrung, dass die Weiseren
nicht auch die Reicheren sind, sei es nun, dass sie sich
b Die obige Äusserung über die Entstehungsweise und Erwerbs
möglichkeit des Reichtums enthält eine herbe Kritik der sozialen Miss
stände der Menschheit, welche zu bessern menschliche Sittlichkeit und
Geisteskraft bisher und vermutlich noch für lange Zeit vergeblich sich
abmüht. Bruno zeigt hier eine sozialistische, wenn auch keineswegs eine
roh - kommunistische Tendenz. Die Verteilung des Besitzes regelt sich
bei uns leider nicht so sehr nach Verdienst und Arbeit, als nach blinden
Zufällen des Glückes und der Geburt, wo nicht gar zu Gunsten schlechter
Gemütsart, welche mit Unehrlichkeit, List und direkter und indirekter
Gewalt die Arbeitsamkeit und Ehrlichkeit in der Güteraneignung über
vorteilt. Nur einer allmäligen, allgemeinen sittlichen und intellektuellen
Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft wird es gelingen, dieses
zweifellos freilich nicht in göttlicher oder natürlicher Notwendigkeit, sondern
allein in der zufälligen sozialen Verfassung wurzelnde Missverhältnis aus
zumerzen. Von gewaltsamen, wenn auch von idealster Tendenz geleiteten,
Sozialrevolutionären Neuerungen ist, wie die Geschichte genugsam lehrt,
schwerlich eine dauernde Reformation in dieser Richtung zu erwarten.