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Der Finsternistag.
Als sich die Phase der Finsternis weiter vergrößerte, wurde eine deutliche Verfärbung
des Himmels erkennbar. 10 Minuten vor Eintritt der Totalität erschien der obere Himmel
dunkel stahlblau, der Horizont etwa 5° über der Kimm in der Richtung nach Süd, wohin
Miethe allein blicken konnte, licht weißlichgelb, erheblich heller als die Partie des Himmels
etwa 10° unter der Sonne. Während in den letzten Minuten vor der Totalität die Helligkeit
des Himmels auffallend schnell abnahm und die Farbe desselben einen schwärzlich stahl
blauen Ton annahm, blieb die Helligkeit des Horizonts scheinbar unverändert, so daß schon
vor dem Eintritt der Totalität der Horizont gegenüber dem oberen Himmel weitaus heller
war und leuchtend erschien. Nach Eintritt der Totalität war die Farbe des Horizonts ein
etwas ins Grau gehendes ockeriges Gelborange. Der Farbton glich der Farbe des Dämmerungs
bogens am Schluß des ersten Purpurlichtes, nur war der Ton nicht so klar und durchsichtig,
wie um diese Zeit bei vollkommen wolkenlosem Himmel eines besonders klaren Tages beob
achtet wird, sondern mehr undurchsichtig, „deckfarbig“, wie der Maler sagen würde. Un
mittelbar über dem Horizont, in etwa y 2 ° Höhe, war ein dunkelgraublauer Streifen, offen
bar die eingangs besprochene Nebelbank, sichtbar. Die Höhe der äußerst hellen gelblichen
Schicht am Horizont betrug etwa 6 bis 7°. Oberhalb dieser Grenze ging die Farbe schroff
und ohne grüne Nuancen zu durchlaufen, in das Dunkelstahlblau des unteren Himmels
über. Die Übergangszone, die durch wesentlich graue Töne verlief, hatte höchstens eine Breite
von 2°. Die „fliegenden Schatten“ konnten von Miethe nicht gesehen werden, da er im
Beobachtungshause keine Gelegenheit dazu hatte. Seegert sah sie dagegen einige Sekunden
vor der Totalität sehr gut auf dem horizontalen weißlichen Dache des liegenden Spiegel
teleskops. Sie glichen geradlinigen, dunkleren Streifen im gegenseitigen Abstande von 25 bis
30 mm, die sich ziemlich schnell von NW nach SO über die horizontale Fläche schoben.
Im Moment der beginnenden Totalität erschien die letzte Spur der Sonnenscheibe als eine
schneeweiße Perlsclmur im Sucher. Eine Sekunde darauf war die Korona in ihrer vollen
Ausdehnung sichtbar. Die Korona wurde mit bloßem Auge in der Äquatorialebene der
Sonne zu etwa 1° Breite auf jeder Seite der dunklen Mondscheibe geschätzt, erschien nach
außen diffus begrenzt und ausgezackt und verlor sich ganz allmählich in dem dunklen
Himmelsgrunde, der wesentlich heller erschien als die Mondscheibe selbst, die eine rein
schwarze Färbung besaß. Die Farbe der Korona war schneeweiß, mehr mit einem Stich ins
Bläuliche als ins Gelbliche. Irgendwelche farbige Erscheinungen in unmittelbarer Nähe der
Sonne wurden mit bloßem Auge nicht gesehen. Nachdem die Totalität ungefähr 15 Se
kunden gedauert hatte und während Miethe an der Meterkamera die zweite und längste
Aufnahme von 30 Sekunden vornahm, hatte er Zeit, die Erscheinung mit bloßem Auge genau
zu sehen. Hierbei beobachtete er mit absoluter Sicherheit felgendes Phänomen. In der Nähe
des unteren Poles der Sonne befand sich in der Korona ein dunklerer Streifen, der wie eine
gerade, scharfe Lücke in der Lichterscheinung der Korona mit einer Neigung von etwa 30°
gegen den Sonnenäquator nach Südwesten zu sich erstreckte. Die dunkle Lücke, welche wesent
lich radial gerichtet und geradlinig erschien, wies nicht nach dem Sonnenzentrum, sondern nach
einem Punkte etwa halbwegs zwischen der Mitte der Sonne und ihrem unteren Rande. Der
dunkle Streifen bewegte sich mit großer Geschwindigkeit während der 30 Sekunden, während
deren er ihn beobachten konnte, von Südwest über Süd nach Südost derartig, als wenn er von
dem genannten Punkte auf der Sonnenoberfläche ausstrahlte, und beschrieb einen Bogen von