Hier ist auch der Ort, einer kleinen Gelegenheitsschrift
Keplers über die sechseckige Gestalt der Schneeflocken 161 ) Er
wähnung zu thun. Der Schnee wird richtig als ein bei
niedriger Temperatur gebildetes Kondensationsprodukt des in
die Atmosphäre übergegangenen Wasserdampses aufgefaßt,
und nun wird zu erklären gesucht, warum gerade das regel
mäßige Sechseck die Normalfigur abgebe. Daß dabei auf
die analoge Form der Bienenzellen hingewiesen wird, ist wohl
oerständlich. Ein in unserem Sinne befriedigendes Resultat
tonnte eine molekularphysikalische Betrachtung damals freilich
noch nicht liefern, aber lesenswert bleibt der offenbar nur
flüchtig hingeworfene Aufsatz deswegen doch. So verdient,
woraus anscheinend noch nicht hingewiesen worden, der Um
stand Berücksichtigung, daß Kepler die sogenannte Quincunx-
stellung der Bamnblätter erkannt und damit das Fortschreitungs-
gesetz der Lamoschen Reihe — 1, 1, 2 , 3, 5, 8 , 13, 21 . . .,
schon bei Lionardo Fibonacci vorkommend — in eine gewisse
Kausalverbindung gesetzt hat.
Probleme der Erdphysik werden in den Werken Keplers,
allerdings mehr nur andeutungsweise, zum öfteren berührt.
Derselbe kannte die Eigentümlichkeiten der damals noch wenig
erforschten Meeresströmungen und suchte sie als Konsequenz
der Erdumdrehung hinzustellen^), allerdings übersehend, daß
diese Bewegung zwar auf andere schon vorhandene Bewegungen
einwirkt, nicht aber einen Körper in Bewegung zu setzen ver-
niag. Die Lehre von den Gezeiten hat sich bei Kepler
mancherlei Umgestaltungen gefallen lassen müssen 163 ). Als er
die unsterbliche „Neue Astronomie" schrieb, war er durch
drungen von der Notwendigkeit, in der (magnetischen) An
ziehungskraft die Ursache des zweimalig-täglichen Ansteigens
der Meeresgewässer anzuerkennen, aber in der „Weltharmonie",
bei deren Abfassung er seiner lebhaften Phantasie einen be
sonders weiten Spielraum gegönnt hatte, griff er — wohl
mehr nur im Interesse seines Hanges zur Bildersprache —
Günther, Kepler. — Galilei. 4