Full text: Die organischen Nahrungstoffe und ihr Verhalten im Zellstoffwechsel (1. Teil)

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180 IX. Vorlesung 
an, wenn mit der Nahrung keine Kohlehydrate verabreicht werden und 
sicher auch schon làngst die Kohlehvdratvorrüte verbraucht sind. 
Wir werden uns hier mit dieser wichtigen Stoffwechselkrankheit nur 
insoweit beschäftigen, als wir aus ihr Anhaltspunkte für die Physiologie 
des Kohlehydratstoffwechsels gewinnen können.!) Zunächst wollen wir ver- 
suchen, an Hand der bisherigen Darlegungen ein Bild über die möglichen 
Arten der Störung des Kohlehydratstoffwechsels beim Diabetes zu geben. 
Es sei zunächst an die alimentäre Glukosurie erinnert.?) Wir 
haben festgestellt, daß bei Zufuhr größerer Mengen von Kohlehydraten 
diejenigen Zellen, die Glykogen zu speichern vermögen und jene, die 
Kohlehydrate in Fett überführen, schließlich den Zufluß an Glukose nicht 
mehr bewältigen können. Es bleibt eine größere Menge von Traubenzucker 
im Blute liegen. Die Nieren greifen ein und entfernen den Überschuß da- 
von. Man kann sich nun wohl vorstellen, daß in manchen Fällen die Leber- 
zellen auch bei einer Zufuhr von Kohlehydraten, die von gesunden Indi- 
viduen spielend bewältigt wird, außerstande sind, zu verhindern, daß eine 
Hyperglukoplasmie entsteht.?) Vermogen dann die anderen Zellen, die Glykogen 
zu bilden vermogen, nicht einzugreifen, dann folgt als Ausgleich der Hyper- 
glukoplasmie eine Glukosurie. Selbstverständlich kann unter Umständen die 
Leber ganz normal funktionieren, es versagen jedoch die tibrigen Zellen, 
die Glykogen bilden können. Auch bei diesem Zustande muß es zur Hyper- 
glukoplasmie kommen, wenn die Zufuhr von Kohlehydraten gewisse Gren- 
zen überschreitet. 
Man gebraucht in der Pathologie oft den Ausdruck „schwaches“ oder 
„geschwächtes“ Organ. Wir können mit dieser Bezeichnung ganz gut 
Unzulänglichkeiten in bestimmten Funktionen in Einklang bringen. Es ist 
denkbar, daß z. B. die Leberzellen nicht über genügend Fermente verfügen, 
um den Glykogenaufbau rasch durchzuführen, sei es, daß die Fermentvor- 
stufe in zu geringer Menge zugegen ist, sei es, daß der Aktivator unzu- 
reichend wirkt. Es ist aber auch denkbar, daß die Leber- und vielleicht 
auch andere Zellen den Traubenzucker nicht rasch genug eintreten lassen. 
Vielleicht ist die Zellwand so beschaffen, daß dem Durchtritt des Trauben- 
zuckers Schwierigkeiten entgegenstehen. Ist die Zufuhr von Traubenzucker 
eine geringe oder erfolgt sie zwar in größerem Maßstabe, jedoch über eine 
längere Zeit verteilt, dann können die Zellen mit der Glykogensynthese Schritt 
halten. Sie verhindern dadurch das Zustandekommen einer Hypergluko- 
plasmie. Nur dann, wenn den Zellen auf einmal viel Glukose zugeführt 
wird, vermögen sie nicht rasch genug mit ihm fertig zu werden. Würde 
Nr. 27, 28 (1899) ; Nr. 13 (1903) ; Zeitschr. f. klin. Med. 47. H. 1/2 (1902). — F. Blumen- 
thal und H. Wolff: Zeitschr. f. klin. Med. 52. H. 3/4 (1904). — Jinul Abderhalden: Zeit- 
schrift f. physiol. Chem. 85. 95 (1913). 
!) Es sei auf die Werke: Bouchardat: Du diabète sucré. Paris 1888. — Claude 
Bernard: leçons sur le diabète. Paris 1877. Deutsche Ausgabe (Posner). Berlin 1878. 
— v. Frerichs: Über den Diabetes. Berlin 1884. — C. v. Noorden: Handb. d, Pathol. d. 
Stoffwechsels. 2. Aufl. 2. Hirschwald. Berlin 1907; Zuckerkrankheit. 6. Aufl. 1912. — 
  
Naunyn: Diabetes melitus. 2. Aufl. Wien 1906. — R. Lépine: Le diabète sucré. Felix 
Alcan. Paris 1909. — Alfred Gigon: Neuere Diabetesforschungen. Ergebn. d. inneren 
Med. u. Kinderheilkunde. 9. 206 (1912). — Ludolf Krehl: Pathol. Physiol. 9. Aufl. 
F. C. W. Vogel. Leipzig 1918. — Carl von Noorden und Hugo Salomon: Handbuch der 
Ernáhrungslehre. J. Springer, Berlin, 1920, hingewiesen. 
2 Vel 8.150. 
3) Vgl. hierzu H. Staub: Zeitschr. f. klin. Med. 93. 89, 123 (1922).
	        
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